3. Partizipation & Interaktion

Auf den Punkt

  • Die Wirtschaftsförderung heutzutage avanciert zu einem Governance-relevanten Akteur für die Standortentwicklung mit eigenen Kompetenzen, Netzwerken und Anerkennung. Demzufolge besteht die Rolle der Wirtschaftsförderung in dem aktiven Orchestrieren von Partizipationsprozessen für den Wirtschaftsstandort. So eine Partizipation basiert auf Transparenz, Engagement und klarer Zielsetzung.
  • Es gilt die passenden Formate für den gewünschten Zweck zu finden. Die in Bottrop 2018+ durchgeführten Reallabore und den Balanced-Scorecard-Prozess, das Anstoßen drei strategischer Allianzen und deren Auflösung, sowie die Etablierung der Wirtschaftsallianz haben die Grenzen der Partizipation verdeutlicht. Vor dem Hintergrund der gesammelten Erfahrungen und deren Reflexion konnten wir einen Leitfaden der partizipativen Wirtschaftsförderung entwerfen.
  • »Bottrop setzt um«: Vorstellung und Reflexion des Formats der Wirtschaftsallianz in der zweiten Projektphase (s. Das Projekt »Wirtschaftsallianz«). Überblick des praxistauglichen, modularen Transferkonzepts, welches es ermöglicht, die in Bottrop gesammelten Erfahrungen auf andere Kommunen und Regionen zu übertragen (s. Partizipative Ansätze – Transfer & Verwertung).
  • Praxisbeispiele: (1) Hackathon Pirmasens – ein Format zur gemeinsamen Entwicklung von Lösungen und Nutzung von Synergien; (2) Online-Plattform Rotall-Inn – breit angelegte Bürger:innenbeteiligungsplattform; (3) XR-HUB Nürnberg – ein Format zur Vernetzung von Forschung & Entwicklung, Industrie und Kultur-/Kreativwirtschaft im Bereich Extended Reality, um das Ökosystem zu fördern.

»Partizipative Wirtschaftsförderung bedeutet, dass die Wirtschaftsförderung als Organisation die Beteiligungsprozesse orchestriert, sodass die Wirtschaftsförderung als Tätigkeit partizipativ verlaufen kann«

Partizipation wird als eine Voraussetzung der erfolgreichen missionsorientierten Innovationspolitik und Transitionen in Subsystemen erachtet (Kapitel 1). Darunter wird die Organisation von breit angelegten Bürger:innenbeteiligungsprozessen – von der Auswahl und Formulierung bis zur Umsetzung von Missionen – verstanden. Solche Prozesse können dazu beitragen, dass gesellschaftlicher Wandel (z.B. in Richtung Nachhaltigkeit) weniger konfliktgeladen verläuft und die entsprechenden politischen Entscheidungen über konkrete Legislaturperioden hinaus tragfähig sind (Mazzucato 2018). Wie in Kapitel 1 erläutert, sind Missionen sehr breit angelegt und umfassen mehrere Teilveränderungen oder Transitionen in unterschiedlichen Subsystemen (z.B. im politischen oder wirtschaftlichen System), dessen Erfolge auf die Zusammenarbeit von Akteuren auf allen Ebenen – Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft, Unternehmen und Wissenschaft – beruht (Rabadjieva & Terstriep 2021a). Beteiligung umfasst in diesem Sinne nicht Bürger:innen allgemein, sondern die Gruppen und Akteure, die von den konkreten Veränderungen primär betroffen sind oder direkt zu der Umsetzung der Transition beitragen werden (Lindner et al. 2021). So beinhalten Partizipationsprozesse in der Wirtschaftsförderung die Beteiligung von Unternehmen als Partner und das Orchestrieren kollektiven Handelns zur Gestaltung von Transitionsprozessen der Wirtschaftsstrukturen (Kapitel 1). 

Der Ansatz der partizipativen Wirtschaftsförderung wird in Kapitel 1 als ein kontinuierlicher Prozess des Monitorings, der Beteiligung und des Aushandelns erläutert. Während die unterschiedlichen Schritte und Anweisungen dargestellt in Abbildung 1.3 einen theoriegeleiteten Idealverlauf der Partizipationsprozesse skizzieren, widmet sich das vorliegende Kapitel der praktischen Umsetzung der Partizipation in der Wirtschaftsförderung sowie der Frage nach Sinn, Zweck und Formaten von Partizipationsprozesse in der Wirtschaftsförderung. Unsere Schlüsse basieren auf einen deutschlandweiten Vergleich von Wirtschaftsförderungseinrichtungen (Terstriep & Rabadjieva 2021b). Neben den fünf Jahren Aktionsforschung in Bottrop, haben wir 108 lokale und regionale Wirtschaftsförderungen in Deutschland befragt, 21 vertiefende Interviews geführt und drei Online-Werkstätten organisiert. Der Vergleich zeigt deutlich, dass die Wirtschaftsförderung als Tätigkeit an sich partizipativ ist, allerdings werden viele unterschiedliche Prozesse als »Partizipation« bezeichnet. Vor diesem Hintergrund thematisieren wir als Ausgangspunkt dieses Kapitels den Partizipationsbegriff, um zu klären, welche Prozesse und Aktivitäten in der Wirtschaftsförderung partizipativ gestaltet sind (Abschnitt 3.1). Im Anschluss legen wir unsere Erkenntnisse über die konkrete Durchführung solcher Prozesse dar (Abschnitt 3.3) und ergänzen diese mit praktischen Beispielen und Hinweisen (Abschnitt 3.4).

3.1 Partizipative Wirtschaftsförderung – Tautologie oder Notwendigkeit?

Mit ihrer Schnittstellenfunktion und ihrer Nähe zu Politik und Unternehmen macht die Wirtschaftsförderung den Eindruck an sich eine partizipative Tätigkeit zu sein. Mit Blick auf die Geschichte der kommunalen Wirtschaftsförderung ist ein Anstieg des Ausmaßes der Partizipation seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu verzeichnen (Lahner 2021). So entwickelte sich die Wirtschaftsförderung von einer Behörde weiter zu einer Dienstleisterin hin zu einer Standortentwicklerin, wobei die partizipativen Aktivitäten stetig ausgeweitet wurden. Diese Entwicklung beruht auf sich über die Jahre verändernden Themen und Aufgaben (s. Kapitel 1), die in vier Phasen unterteilt werden können (Hahne 2020): (1) Wirtschaftsförderung 1.0 fokussiert Ansiedlungen und Gründungen, (2) Wirtschaftsförderung 2.0 fokussiert Bestandsentwicklung, (3) Wirtschaftsförderung 3.0 – Clusterpolitik und Creative Cities und (4) Wirtschaftsförderung 4.0 – Nachhaltigkeit, Resilienz und Digitalisierung. Dieser Wechsel im Fokus bedingt auch eine Veränderung in der Organisation (s. Kapitel 4) und den Aufgaben. Während die Wirtschaftsförderung am Anfang überwiegend als Informationsgeberin und Bestandspflegerin agiert hat, so hat diese später Beratungsdienstleistungen und Netzwerke in ihr Dienstleistungsportfolio aufgenommen. Mit den Veränderungen in den wirtschaftlichen Praktiken im Allgemeinen, die vermehrt digitale Konzepte, Ressourceneffizienz, nachhaltiges Wirtschaften, urbane Produktion und lokale Ökonomie beinhalten, wurde entsprechend auch die Themenliste der Wirtschaftsförderung aktualisiert (Wagner-Endres 2020). Damit einhergehend veränderte sich auch der Anspruch der Wirtschaftsförderung, Akteure zu vernetzen sowie Prozesse zu initiieren, zu moderieren und zu managen. Abbildung 3.1 fasst diese Entwicklungen zusammen.

Abbildung 3.1 Entwicklung der deutschen Wirtschaftsförderung

3.1

Quelle: Adaptiert von Hahne 2020 & Lahner (2021)

Darüber hinaus wird die Wirtschaftsförderung heute vermehrt nicht nur auf kommunaler, sondern auch auf regionaler Ebene und in unterschiedlichen strukturellen Formen – Amt, Eigenbetrieb, GmbH, Verein oder eine Mischung daraus – ausgeübt (Terstriep & Rabadjieva 2021a). Schließlich ist das heutige Verständnis von Wirtschaftsförderung nicht deckungsgleich mit dem Verständnis von vor einigen Jahren und beinhaltet neben der organisationalen und räumlichen Vielfalt ein komplexes Gefüge an Interaktionen mit unterschiedlichen Akteuren aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Bürgerschaft. 

Beteiligungsprozesse stellen einerseits, wenngleich in unterschiedlichem Umfang, einen elementaren Bestandteil der Wirtschaftsförderungspraxis dar, werden andererseits allerdings sehr breit verstanden (Rabadjieva & Terstriep 2021b). Wie unsere Untersuchungen in Bottrop 2018+ zeigen (s. Partizipative Ansätze - Transfer & Verwertung), schätzen Wirtschaftsförder:innen, unabhängig von der räumlichen Zuständigkeit und den eigenen personellen Ressourcen, die aktive Beteiligung von Unternehmen in ihren Tätigkeiten als intensiv ein. Die Palette an Beteiligungsformaten und Interaktionsmustern wird dabei immer größer, insbesondere vor dem Hintergrund der Digitalisierung. Zugleich stellten die Wirtschaftsförder:innen eine Veränderung in den Beteiligungsprozessen im Vergleich zu früheren Zeiten fest (Rabadjieva & Terstriep 2022). Während für lange Zeit die Wirtschaftsförderungen als Informationsgeber und die Unternehmen als reine Empfänger (unidirektionale Kommunikation) gesehen wurden, werden Unternehmen heutzutage zunehmend an kreativen Prozessen beteiligt (gemeinsames Agieren). Zugleich macht sich ein angestiegenes Bewusstsein für die Wirtschaftsförderungsorganisationen und ihre Aktivitäten seitens der Unternehmen bemerkbar. Ähnliche Veränderungen werden bei den anderen lokalen und regionalen Akteuren festgestellt. So zeigen unsere Interviews, dass die Wirtschaftsförderung stets an Strategieentwicklungsprozessen beteiligt wird, was ihre hohe Relevanz für das lokale Geschehen illustriert (Rabadjieva & Terstriep 2021b). 

Diese Entwicklungen der wirtschaftsfördernden Tätigkeiten unterstreichen die damit einhergehende zunehmende Komplexität. Um diesem Komplexitätszuwachs entgegenzuwirken betonten die Diskutant:innen in unseren Online-Werkstätten die Bedeutung von Transparenz durch angemessene Kommunikation als wichtigen Mechanismus. Dies wurde nicht nur in Bezug auf eine gelungene Beteiligung hervorgehoben, sondern ebenso hinsichtlich der mangelnden Transparenz von Entscheidungsprozessen. »Fast niemand weiß, wie die Stadtverwaltung funktioniert«, so ein Teilnehmender. Nicht fehlende Informationen, sondern der fehlende Austausch darüber, wo und wie diese Information einholbar sind, sei ursächlich für die unzureichende Transparenz (Rabadjieva & Terstriep 2022). Erschwert wird die Sicherstellung von Transparenz auch dadurch, dass Interaktions-/Austauschformate für Unternehmen nicht nur durch die Wirtschaftsförderung, sondern auch von anderen Akteuren am Standort durchgeführt werden, so dass die Gefahr von Überforderung und Konflikten besteht (Terstriep & Rabadjieva 2021a). Koordination, Transparenz und angemessene Interaktionen sind heute unabdingbare Voraussetzungen für eine gelingende Wirtschaftsförderung, die an aktives Agieren und Beteiligung orientiert ist. Diese Charakteristiken können die Akzeptanz in der Politik und Öffentlichkeit erhöhen, das Image und die Aufmerksamkeit verbessern, die Aktivierung von Ressourcen und Akteuren erleichtern und zur Vertrauensbildung beitragen. 

Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse sehen wir die Rolle der Wirtschaftsförderung in dem aktiven Orchestrieren von Partizipationsprozessen für den Wirtschaftsstandort. Es geht nicht darum punktuell mit einzelnen Akteuren zu kooperieren, sondern zielgerichtet koordinierte, gemeinsame Handlungen zu steuern. So eine Partizipation basiert auf drei wichtigen Bausteinen – Transparenz, Interaktion und gezielter Beteiligung (Abb. 3.2). Transparenz heißt nach dem Verständnis der Diskutant:innen nicht nur zu informieren, sondern den Zugang zu Informationen zu gewährleisten und sicherzustellen, dass diese leicht auffindbar und verständlich sind. Somit ist Transparenz vom Informieren und Marketing zu unterscheiden. In transparent gestalteten Prozessen werden z.B. nicht nur die erfolgreichen Ergebnisse, sondern auch die nicht durchführbaren Projekte und die Gründe dafür kommuniziert. Sie bilden eine wichtige Voraussetzung zum besseren Verständnis bestimmter Ereignisse, Prozesse sowie Entscheidungen und ermöglichen gegenseitiges Lernen. Transparenz ist insofern keine Einbahnstraße, es geht darum, dass alle Partner im Partizipationsprozess transparent agieren. Für die Wirtschaftsförderung bedeutet dies, dass nicht nur die politischen Entscheidungen und Verwaltungsprozesse nachvollziehbar sein sollten, sondern auch das Handeln und die Belange von Unternehmen und Intermediären, die in die Partizipationsprozesse involviert sind. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des Monitorings von Relevanz (Kapitel 2).

»Interaktion« setzt aktives Verhalten aller relevanten Akteure voraus und kann unterschiedliche Modi – Kommunikation, Kontaktaufnahme, Dialog, gemeinsame Aktionen etc. – beinhalten. Für eine qualitative Interaktion gilt es das passende Format zu finden und die Akteure zu Engagement zu motivieren. Ob die Interaktion zentraler Bestandteil von Beteiligungsprozessen wird, hängt im Wesentlichen von der konkreten Zielsetzung ab und davon, ob den Akteuren die Möglichkeiten zu Teilhabe und Mitwirkung in den Prozessen gegeben wird. »Teilhabe« bedeutet in diesem Sinne Verantwortung für die Durchführung und Ergebnisse der gemeinsamen Aktivitäten zu übernehmen. So umfassen Partizipationsprozesse für uns gleichermaßen Transparenz, Interaktion und Beteiligung und sind vom politikwissenschaftlichen Verständnis der Partizipation, die auf Bürger:innenbeteiligung abstellt (Arnstein 1969), zu unterscheiden. 

Bürger:innenbeteiligung spielt für die Wirtschaftsförderung selten direkt eine Rolle (Terstriep & Rabadjieva 2021a), vielmehr werden Bürger:innen auf lokaler Ebene indirekt über politische Gremien (z.B. Ausschüsse) beteiligt. Mit partizipativer Wirtschaftsförderung deuten wir stattdessen darauf hin, dass die Wirtschaftsförderung als Organisation die Beteiligungsprozesse orchestriert, sodass die Wirtschaftsförderung als Tätigkeit partizipativ verlaufen kann. Diese neue Funktion entspricht der Entwicklung der Wirtschaftsförderung in Deutschland, die sich über die Jahre professionalisiert und institutionalisiert hat, heutzutage in Standortentwicklung avanciert und einen Governance-relevanten Akteur mit eigenen Kompetenzen, Netzwerken und Anerkennung darstellt. Mit ihrer Rolle in den Governancestrukturen sollte die Wirtschaftsförderung die Dienstleisterrolle bewusst verlassen, die Akteure vor Ort in den Entwicklungsprozessen beteiligen und zur Erreichung der gesetzten Ziele mobilisieren. Commitment und Engagement aller Akteure für die wirtschaftsfördernden Aktivitäten zeichnen die partizipative Wirtschaftsförderung aus. Die unterschiedlichen Formate, die das gezielte Orchestrieren von Partizipation umfassen, werden in den Folgeabschnitten beleuchtet.

Abbildung 3.2 Definitionen

3.2 Partizipation in der Wirtschaftsförderung – Sinn, Zweck & Formate

Nach unseren Beobachtungen in den fünf Jahren Forschung in Bottrop und den Gesprächen mit Wirtschaftsförder:innen deutschlandweit, können unterschiedliche Prozesse mit konkreter Zielsetzung unter Partizipation zusammengefasst werden, die vom Informieren bis zur Entscheidungsfindung reichen (Abb. 3.3). Informieren und organisieren von Austauschmöglichkeiten gehören zu den originären Aufgaben der Wirtschaftsförderung (Abschnitt 3.1) und dienen der Schaffung von Transparenz, der Aktivierung der Akteure und der Initiierung von Diskussionen. Zum Zweck der Anpassung bestehender und der Bereitstellung neuer Dienstleistungen, Projekte und Angebote setzen die Wirtschaftsförderungen oft auf unterschiedliche Formate, um Meinungen und Reaktionen einzuholen (Input).

3.3
Abb. 3.3. Zweck und Intensität der Partizipation

Auf dieser Basis können intensivere Prozesse mit dem Ziel der Zusammenarbeit oder gemeinsamen Entscheidungsfindung organisiert werden. So sind im Zuge des Partizipationsprozesses für die Zusammenarbeit und Entscheidungsfindung notwendigerweise Informieren, Austausch und Input vorangestellt. Die Intensität der Partizipation wird hier von dem Zusammenhang zwischen Transparenz, Interaktion und Teilhabe bestimmt. Je stärker der Zusammenhang, desto intensiver werden die Prozesse. Während beispielsweise zum Zweck des Informierens oder Austausches auf bilaterale, manchmal auch kontaktlose Interaktionen (z.B. bilaterale Gespräche oder Umfragen) gesetzt werden kann, erfordern Zusammenarbeiten und gemeinsame Entscheidungsfindungen zusätzlich eine entsprechende Koordination, proaktives Verhalten und Engagement. 

Die Teilnehmer:innen unserer Onlineumfrage gaben an, Partizipationsprozesse zu allen diesen Zwecken »eher häufig« durchzuführen (Terstriep & Rabadjieva 2021a). Dabei kann eine breite Palette an Formaten zu jedem Zweck unterschieden werden. Die Abbildung 3.4 stellt die innerhalb vom Bottrop2018+ umgesetzten und von den Befragten genannten Formate zusammen, die wir nach deren Zweck und primären (dunkle Punkte) bzw. indirekten (helle Punkte) Beteiligungsgruppen sortiert haben. 

Abbildung 3.4 Zweck und Formate der Partizipation

3.4

1 Intermediäre & Forschungseinrichtungen     2 Andere Standorte & Wirtschaftsförderungen

Zunächst unterscheiden wir zwischen Zielgruppen (Empfänger von Leistungen der Wirtschaftsförderung) und Stakeholder (Mitgestalter der Wirtschaftsförderung). Die Hauptzielgruppe für die Wirtschaftsförderung sind an erster Stelle Unternehmen, Gründer:innen und nur in gewissem Ausmaß Bürger:innen. Stakeholder sind demgegenüber alle Akteure, die Einfluss auf die Wirtschaftsförderungsaktivitäten nehmen oder Interesse für diese zeigen. So können die Unternehmen abhängig vom Ziel und Format als Zielgruppe oder Stakeholder agieren. Sie werden durch eine Vielzahl an Formaten uni- oder bidirektional als Impuls- und Feedbackgeber (z.B. mittels Umfragen, Runden Tischen, öffentlichen Veranstaltungen) beteiligt. Zugleich werden vermehrt Formate für die langfristige Zusammenarbeit und Vernetzung zwischen und mit Unternehmen geschaffen (z.B. Netzwerke, Reallabore, Transferzentren), um die Wirtschaftsförderungsaktivitäten an die Bedarfe der Zielgruppen anzupassen und ein gegenseitiges Lernen zu ermöglichen (Rabadjieva & Terstriep 2021b). Unsere Interviews verdeutlichen zudem, dass eine dauerhafte Kooperation mit weiteren Stakeholdern wie Politik, Intermediären oder Verwaltungseinrichtungen innerhalb von Gremien (z.B. Ausschüssen, Aufsichtsräten oder Stammtischen), Projekten oder Transferzentren (bzw. Technologie- und Transferzentren) stattfindet. Die partizipative Entscheidungsfindung bildet in der Wirtschaftsförderung vielerorts bislang noch die Ausnahme. Bis auf die Gremien, die bei amtlichen Wirtschaftsförderungen von Politik besetzt werden und bei nicht amtlichen Organisationen aus einer Mischung von Politik und ausgewählten Unternehmen bestehen, stellen strategische Allianzen (Infobox 3.1) das einzige Format zu diesem Ziel dar.

Viele der genannten Formate eignen sich für die simultane Beteiligung mehrerer Gruppen. So sind Reallabore, strategische Allianzen, branchenübergreifende Netzwerke, Transferzentren und Runde Tische für die intensive Beteiligung sowohl von Unternehmen und Wirtschaftsförderungen als auch von Intermediären, Verwaltungen und anderen Akteuren konzipiert. Ein gutes Beispiel dafür, wie ein loses Netzwerk zwischen wenigen Intermediären zum Nukleus in der Region und Unterstützung des gesamten Ökosystems avancieren kann, stellt das XR-HUB Nürnberg dar. In diesem Fall beteiligt sich die Wirtschaftsförderung als Kooperationspartner an einem innovativen Thema mit Relevanz für die Region – Extended Reality – um die Interaktionen zwischen den Akteuren in der Branche zu unterstützen (s. Praxisbeispiel XR-Hub, Nürnberg). 

Weiterhin finden sich für alle Partizipationszwecke auch neue Formate. Ein interessantes Beispiel stellt der Hackathon für die Wirtschaftsförderung dar. Im Fall der Stadt Pirmasens hat die Wirtschaftsförderung während der COVID-19-Pandemie dieses Format über mehrere Wochen organisiert, um Ideen zur Unterstützung der Stadtgesellschaft zu sammeln und eine Umsetzung in Kooperation aller Akteure zu ermöglichen. Die Wirtschaftsförderung hat mit diesem Format gleichzeitig viele unterschiedlichen Gruppen an der Ideengenerierung beteiligt und aktiv an der Umsetzung unterschiedlicher Ideen mitgewirkt. Dabei wurde großer Wert auf die Transparenz der Prozesse durch Berichterstattungen und Veranstaltungen gelegt (s.Praxisbeispiel Hackathon, Pirmasens). Ein weiteres für die Wirtschaftsförderung eher neues Format bieten die Reallabore bzw. Experimentierräume (Infobox 3.2), die einen wesentlichen Bestandteil des Projekts Bottrop 2018+ bildeten (Abschnitt 3.3). Während die Reallabore in einigen Interviews als umgesetztes Format genannt wurden, erwiesen sie sich bei den Online-Werkstätten bei vielen Diskutant:innen als unbekannt (Rabadjieva & Terstriep 2022). Diese Diskrepanz in dem Bekanntheitsgrad unterstreicht die Neuheit des Formats und die noch fehlende flächendeckende Implementierung. 

In unseren Gesprächen mit Wirtschaftsförder:innen wurde betont, dass heute sowohl Transparenz als auch Interaktion und die Möglichkeiten zur Teilhabe durch Digitalisierung gestützt werden können. Ein Beispiel hierfür stellt die Online-Plattform Rottal-Inn dar. Diese breit angelegte Bürger:innenbeteiligungsplattform bietet die Möglichkeit nicht nur Ideen für die Weiterentwicklung der Region vorzuschlagen, sondern diese auch zu bewerten, zu kommentieren und nachzuverfolgen. In Rottal-Inn wird neben laufenden oder geplanten Aktivitäten und Projekten auch über die Ideenentwicklung, Abstimmung, Umsetzung und den Fortschritt berichtet. So werden Planung, Umsetzung, Finanzierung und Entscheidungsfindung als Prozesse nachvollziehbar. Die digitale Form und Gestaltung der Plattform ermöglichen den Bewohner:innen des Landkreises Rottal-Inn einen leichten Zugang zu relevanten Informationen (s. Praxisbeispiel).

Trotz der erhöhten Zahl an verfügbaren Formaten zur Unternehmensbeteiligung, fassten die Diskutant:innen unserer Online-Werkstätten zusammen, dass die Beteiligung in der Umsetzung von Projekten und Maßnahmen nach wie vor schwerfällt (Rabadjieva & Terstriep 2022). Hierzu bedarf es zusätzliche Motivationsmechanismen, wie z.B. eine Verbundenheit der Unternehmen mit dem Standort, konkrete, themenbezogene Ansprachen, nicht-anonyme Befragungen oder geteilten Leidensdruck (z.B. durch die Corona-Krise). Der erfolgversprechendste Weg bleibt der enge Kontakt zu den Unternehmen sowohl in Präsenz als auch vermehrt über Online-Kanäle. So haben im letzten Jahr Kanäle wie E-Mail, Newsletter, aber auch soziale Medien (Facebook und Twitter sowie punktuell Instagram und WhatsApp) an Bedeutung gewonnen. Branchenübergreifende Vernetzung erweist sich zur Unterstützung von Wertschöpfung und Generierung neuer Ideen als hilfreich. Dabei wurden »Wohlfühl«-Veranstaltungen, die nicht thematisch überlastet sind, von den Wirtschaftsförder:innen als relevanter eingestuft. Damit lässt sich festhalten, dass das gut gesteuerte Informieren und die nicht überfordernden Austauschgelegenheiten den Türöffner für intensivere Partizipationsprozesse darstellen. Gleichzeitig zeigt dieses vielfältige Bild an Formaten und Erfahrungen, dass es nicht den einen »richtigen« Partizipationsprozess gibt. Es gilt die passenden Formate für den gewünschten Zweck, abhängig von den eigenen Ressourcen sowie den Möglichkeiten und Bedarfen der zu beteiligenden Gruppen, zu finden. Dabei bedarf es der Berücksichtigung der Komplexität der einzelnen Formate.

3.5
Abbildung 3.5 Komplexität der Formate

Abbildung 3.5 illustriert eine erste Einschätzung der Komplexität der genannten Formate. Auf einer Skala von 1 bis 3 haben wir alle Formate nach drei Kriterien bewertet: (1) die Heterogenität der beteiligten Akteure, da sie unterschiedliche Interessen, Bedarfe und Wünsche haben, (2) die Anzahl der Akteure, die für die Etablierung des Formats notwendig sind und (3) der Neuigkeitsgrad des Formats für die Wirtschaftsförderung. Es fällt direkt auf, dass der Komplexitätsgrad nicht von der Intensität der Partizipation abhängt – für alle Zwecke finden sich unterschiedlich komplexe Formate. Viel mehr spielen der Neuigkeitsgrad und die Anzahl der Akteure bei der Etablierung eine Rolle. So sind z.B. Informationskanäle aufgrund des dynamischen Zuwachses an neuen Kanälen, die nicht immer simultan und von der Wirtschaftsförderung allein bedient werden können, mit eher höherer Komplexität einzuschätzen. Workshops hingegen stellen ein etabliertes Format zur Zusammenarbeit dar und weisen ein viel geringeres Komplexitätsniveau auf. Die neuartigen Formate wie Hackathons und Online-Plattformen verfügen über ein hohes Komplexitätsniveau sowohl wegen des Neuigkeitsgrads als auch insofern, als dass deren Umsetzung durch multiple Akteure erfolgt. Formate wie der bilaterale Austausch und Gremien, die Grundbausteine der Wirtschaftsförderung bilden, weisen hingegen die geringste Komplexität auf.

Transferzentren sind kein neues Format per se. In unserer Arbeit haben wir allerdings festgestellt, dass die Wirtschaftsförderungen vermehrt eine aktive bzw. leitende Rolle in der Führung und Gestaltung von solchen Zentren einnehmen. Am Beispiel des XR-HUB Nürnberg zeigt sich, dass solche Zentren das Aufgreifen innovativer Themen in das Portfolio der Wirtschaftsförderung begünstigen können. Zudem benötigen die Transferzentren eine entsprechende Finanzierung, die nicht bei allen Wirtschaftsförderungen gegeben ist. Aus diesen Gründen schätzen wir sie als ein eher komplexeres Format zur Umsetzung und Etablierung von Partizipationsprozessen ein. Die komplexesten Partizipationsformate stellen nach unserer Einschätzung jedoch die Reallabore und die strategischen Allianzen dar, die zugleich sehr neu sind und einen hohen Moderationsaufwand erfordern, was einer flächendeckenden Umsetzung entgegensteht (Abschnitt 3.3).

 Zusammenfassend, lassen unsere Erfahrungen in den letzten fünf Jahren darauf schließen, dass die deutschen Wirtschaftsförderungen schon viele Partizipationsformate kennen und sich stetig mit neuen Formaten vertraut machen. Der Einsatz vieler und komplexer Formate ist aber keineswegs ein Garant für erfolgreiche Partizipationsprozesse. Die konventionellen Formate, mit denen die Akteure vertraut sind, behalten ihren Wert. So haben die Diskutant:innen in den Online-Werkstätten betont, dass nicht-anonyme Befragungen auf sehr gute Resonanz stoßen, da sich die zu beteiligenden Gruppen persönlich gehört fühlen. Solche bekannten Formate können zu Beginn der Partizipationsprozesse eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen. Zugleich bieten neue Formate Raum zum »freien« Denken und Ausprobieren. Sie können dazu beitragen, das Interesse der zu beteiligenden Gruppen zu wecken. Allerdings sollten sie gut vorbereitet und moderiert werden, um die Teilnehmenden mitzunehmen und eine Überforderung, im Sinne von zu hohen Erwartungen an das Leistungspotential der Akteure zu vermeiden. Die passenden Formate sollten abhängig von der Motivation und Bereitschaft der Akteure, sich mit neuen Themen und Prozessen auseinanderzusetzen, gewählt werden. Das heißt aber keineswegs, dass konventionelle Formate wie z.B. eine Umfrage oder ein Workshop für neuartige Themen ungeeignet sind. Die Kunst besteht darin, die bekannten Formate mit neuen Inhalten zu füllen. Workshops unterschiedlicher Art bilden beispielsweise einen wesentlichen Bestandteil der Reallabore und Projekte. Innerhalb eines Reallabors können auch verschiedene Formate zur Interaktion und Beteiligung zur Anwendung kommen. Der Folgeabschnitt stellt unsere konkreten Erfahrungen mit dem Einsatz solcher Formate im Projekt Bottrop 2018+ vor.

3.3 Partizipative Governance – zwischen Ambition und Realität

Bottrop 2018+ hatte das ambitionierte Ziel, Partizipationsprozesse zur Zusammenarbeit und Entscheidungsfindung in Bottrop zu etablieren. Die Prämisse war, dass Nachhaltigkeit und Resilienz am Wirtschaftsstandort nur gemeinsam von allen Wirtschaftsakteuren erreicht werden können. Diese Annahme wurde von unseren Diskutant:innen in den Online-Werkstätten bestätigt (Rabadjieva & Terstriep 2022). Die intensiven Partizipationsprozesse haben allerdings bereits zu Beginn der ersten Projektphase zu Divergenzen zwischen den Erwartungen des Projektansatzes und den Vorstellungen der Wirtschaftsakteure vor Ort über die Gestaltung der Prozesse und die Aufgabenverteilung geführt (Merten et al. 2019). 

Geplant war, dass alle Wirtschaftsakteure vor Ort – Verwaltung, Unternehmen, Politik, Intermediäre und Forschungseinrichtungen – zur gemeinsamen Entscheidungsfindung innerhalb von strategischen Allianzen (STA) zusammengebracht werden. Diese spezielle Form des netzwerkartigen Zusammenschlusses funktioniert auf Basis des »Gegenstrom Prinzips«, d.h. die STA werden intentional und strukturiert angestoßen (top-down), während gleichzeitig die regionalen Stakeholder bereits zu Beginn aktiviert werden, um den Prozess mitzugestalten und eine gemeinsame Zielsetzung festzulegen (bottom-up) (Merten, Seipel & Terstriep 2019). Innerhalb von Bottrop 2018+ wurden die Akteure zur Etablierung von drei STA animiert – (1) Einzelhandel, (2) Handwerk und (3) nachhaltiges Wirtschaften – und in der Anwendung von geeigneten Methoden zur Entscheidungsfindung geschult. So wurde z.B. die Methode des »Systemischen Konsensierens«, die auf der minimalen Ablehnung in einer Gruppe basiert, ausprobiert, um dauerhaft das Commitment der beteiligten Akteure und den Zusammenhalt der Gruppe zu sichern (ebd.). 

Die Konzepte der STA sind hoch strategisch und zielorientiert ausgerichtet. Eine kontinuierliche Reflexion soll gewährleisten, dass sich die wirtschaftsfördernden Aktivitäten auch langfristig an den gesetzten Leitplanken für Nachhaltigkeit und Resilienz orientieren und nicht »verwässern«. Vor diesem Hintergrund verlangt das Format eine hohe Motivation und kontinuierliches Engagement seitens der Akteure, sich immer wieder mit der strategischen Ausrichtung des Standortes bzw. der eigenen Branche auseinanderzusetzen, während sie zugleich lernen, als ein gemeinsames »Wir« zu agieren. Die Komplexität und die Voraussetzungen des Vorhabens sind in Bottrop ca. ein Jahr nach Projektbeginn auf Widerstand gestoßen. Die Initiierungsphase des Formats war durch eine lange Phase intensiver Treffen ohne direktes, spürbares Ergebnis geprägt, so dass eine Selbstwirksamkeitserfahrung der Akteure fehlte (Merten, Seipel & Terstriep 2019). Statt der vorgeschlagenen Vorgehensweise haben die Akteure kommuniziert, dass die Inhalte und die Zielrichtung vom Amt für Wirtschaftsförderung und Standortmanagement vorgeschlagen werden sollten, sodass sie mit einer Abstimmung bei der Einigung und nachfolgend bei der Umsetzung der Maßnahmen mitwirken können (ebd.). So wurde das Format der STA aufgegeben und auf die Etablierung einer gemeinsamen Wirtschaftsallianz als weniger (zeit)intensives Format eines branchenübergreifenden Netzwerkes gesetzt, bei dem Austausch und Abstimmungen im Fokus stehen. Als Konsequenz mussten die Partizipationsprozesse für die Strategieentwicklung anders konzipiert werden, um sicherzustellen, dass die getroffenen Entscheidungen weiterhin eine breite Zustimmung bei den Akteuren finden, ohne dass sie unmittelbar in das Entwerfen der Strategie involviert sind. Als Alternative wurde ein Balanced-Scorecard-Prozess angestoßen, der auf der Zusammenarbeit zur Strategieentwicklung beruht und nicht auf direkter Entscheidungsfindung aller Akteure. 

Der Balanced-Scorecard-Prozess (BSC-Prozess) ist als Instrument des strategischen Managements bekannt (Rabadjieva, Seipel & Terstriep 2018). Durch die Kombination von kurz- und langfristigen Zielen, finanziellen und nicht-finanziellen Kennzahlen, Früh- und Spätindikatoren sowie externer und interner Perspektiven wird eine Ausgewogenheit (»balanced«) in der Planung sichergestellt. Im Kern des Prozesses steht das Verbinden der Vision, der Mission und der Strategie einer Organisation mit entsprechenden Maßnahmen und Indikatoren. Die Akzeptanz und Anpassungsbereitschaft der Betroffenen von der neuen Strategie wird durch frühzeitige Einbindung in den Prozess und eine hohe Transparenz gewährleistet. So entspricht der BSC-Prozess den Anforderungen von Partizipationsprozessen und bietet durch die kontinuierliche Selbstreflexion einen zusätzlichen Mehrwert für die Beteiligten (ebd.). 

Den BSC-Prozess an einem Wirtschaftsstandort und nicht in einer Organisation anzuwenden, bedeutet diesen als iterativen Prozess mit multiplen Akteuren und Interessen zu gestalten (s. Abb. 3.6). Dies verlangt eine intensive Koordination und Moderation, die in Bottrop vom Forschungspartner IAT übernommen wurden. Als zentrales Format für den iterativen Prozess wurden Workshops mit unterschiedlichen Gruppen gewählt. Eine Gruppe bildeten die Beschäftigten des Amtes für Wirtschaftsförderung und Standortmanagements, um eine Beteiligung nach innen zu ermöglichen. Eine weitere Arbeitsgruppe bestand aus Akteuren der Wirtschaftsallianz, um die Mitwirkung der Stakeholder zu sichern. Die gemeinsame Reflexion aller Akteure am Standort und das Zusammenbringen der Teilstrategien erfolgte im Rahmen von Treffen der Wirtschaftsallianz. Ergebnis des Prozesses war ein gemeinsames Strategiepapier »Zukunftsplan« mit Zielen und Maßnahmen als ein erster Entwurf zur Zielerreichung und Verteilung der Verantwortung (ebd.).

Abbildung 3.6 BSC-Prozess in der Wirtschaftsförderung

Abb. 3.6 BSC Prozess

Der BSC-Prozess bildet insofern einen Handlungsrahmen für den Einsatz passender Formate (z.B. Workshops), die für die Entwicklung von der Vision über strategische und operative Ziele bis hin zu Maßnahmen und Indikatoren angewendet wurden. Der BSC-Prozess wurde vom Amt für Wirtschaftsförderung und Standortmanagement als hilfreich und angemessen empfunden, und in der zweiten Projektphase weitergenutzt, wenngleich lediglich amtsintern (s. Partizipative Ansätze - Transfer & Verwertung). Die Wirtschaftsallianz dient weiterhin als ein Format zum Dialog zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Multiplikatoren und Stadtverwaltung. Ihr primärer Mehrwert als Plattform liegt darin, die kleinen Lösungen, die als Maßnahmen aus dem Zukunftsplan umgesetzt werden, später im großen Kreis der Wirtschaftsakteure vor Ort zu streuen. Solche Lösungen wurden innerhalb vom Bottrop 2018+ vorrangig in den Reallaboren umgesetzt (s. Reallabore) .

Die Reallabore wurden als Format für die Zusammenarbeit in der Umsetzung eingesetzt und dienten gleichzeitig zum Lernen durch Experimentieren und zum Umsetzen konkreter Lösungen. Als »Kristallisationspunkte« der Transition können innerhalb von Reallaboren Lösungen für die gesamte Stadt, einzelne Quartiere oder Branchen entwickelt und erprobt, sowie später auf weitere (Stadt)Bereiche ausgeweitet werden (Skalierung). Im Vergleich zu den weit verbreiteten Reallaboren zur Bürger:innenbeteiligung (Meyer, Esch, Rabadjieva 2021), bildeten die Reallabore in Bottrop2018+ Experimentierräume speziell für die Wirtschaftsakteure. Dabei wurden keine festen Vorgaben gesetzt, sondern es wurde den Akteuren überlassen, in Kooperation und auf Augenhöhe nachhaltige Praktiken zu erproben (Stadt Bottrop 2019).

Reallabore sind konzeptionell ähnlich wie die STA, insofern als, dass sie als offener Prozess angelegt werden. Es wird den Teilnehmenden überlassen, nach ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten, die Inhalte und zu erprobenden Maßnahmen eigenständig zu definieren und umzusetzen. Durch den Wegfall der STA, die ursprünglich die Leitlinien für die Reallabore definieren sollten, fiel es den Akteuren der Reallabore zu, diese zu setzen. Die Offenheit des Ansatzes und die strategische Verlagerung der Entscheidungsfindung stellten neue Herausforderungen an die Beteiligten, so dass letztendlich das Amt für Wirtschaftsförderung und Standortmanagement die Koordination übernahm und die Selbststeuerung durch die Akteure entfiel. Ähnlich galt dies für die strategische Ausrichtung und die Evaluation der Reallabore, die vom Bottrop2018+ Projektteam übernommen wurden. Die beteiligten Wirtschaftsakteure fokussierten sich auf die Umsetzung konkreter, greifbarer Maßnahmen und Lösungen mit erkennbarem Mehrwert. In der ersten Projektphase wurde unter anderem eine Schulungsreihe »Digitalisierung für Händler:innen« gemeinsam mit der Hochschule Ruhr-West (HRW) etabliert und ein digitales Technologieset zum Experimentieren und zur gemeinschaftlichen Nutzung durch die Bottroper Handwerksbetriebe angeschafft (Stadt Bottrop 2019). In der zweiten Phase wurden für die Reallabore Themen aus dem Zukunftsplan (BSC) wie Fachkräftesicherung und Digitalisierung aufgenommen (s. Reallabor »Fachkräftesicherung«). Zwei neue Interaktionsformate für langfristige Kooperation wurden in diesem Zusammenhang etabliert – eine offizielle Kooperation zwischen mehreren intermediären Akteuren zur Unterstützung des Bottroper Handwerks und eine zur Unterstützung von Unternehmen bei der Einstellung Geflüchteter (s. Bottrop setzt um - New Governance). So konnten die Akteure in einem durch das Amt für Wirtschaftsförderung und Standortmanagement koordinierten und moderierten Prozess mit neuen Lösungen experimentieren. Die Lerneffekte durch das Experimentieren gilt es am Standort innerhalb der Wirtschaftsallianz und über die Grenzen von Bottrop hinaus zu streuen. 

Die Durchführung der Reallabore und des BSC-Prozesses, das Anstoßen der STA und deren Auflösung sowie die Etablierung der Wirtschaftsallianz haben die Grenzen der Partizipation verdeutlicht. Die hohe Motivation und Bereitschaft zur intensiven Partizipation verlangen zusätzliche Maßnahmen. An erster Stelle wird Zeit benötigt, um die Akteure mit den Voraussetzungen, Zielen und Mehrwert der Prozesse vertraut zu machen und den Kenntnisstand zu vereinheitlichen. Abhängig von der Vorbereitung der Akteure müssen bestimmte Maßnahmen zum »Abholen« der Akteure und zur Kommunikation wiederholt oder angepasst werden. Vor dem Hintergrund der gesammelten Erfahrungen konnten wir einen Leitfaden für die partizipative Wirtschaftsförderung entwerfen (Rabadjieva & Terstriep 2019). 

Abbildung 3.6 fasst die 10 Schritte der Partizipation zusammen (detailliert auf Abbildung 1.3). Die Reihenfolge bildet ein Idealprozess vom Anstoßen der Transitionsprozesse bis zur Umsetzung ab. Die ersten drei Schritte umfassen die Phase der Vorbereitung bzw. des Monitorings, die für die kontinuierliche Steuerung des Prozesses notwendig sind. Die mittleren vier Schritte bilden die Beteiligungsprozesse ab, wobei der Fokus stärker auf zielgerichteter Kommunikation sowie dem Abholen und Zusammenbringen der Akteure gerichtet ist als auf spezifische Formate. Die letzten drei Schritte beinhalten das Aushandeln der Verantwortungsverteilung. Wie unsere Erfahrungen gezeigt haben, sind die Schritte nicht unbedingt reibungslos und chronologisch nacheinander durchzulaufen. Viel wichtiger ist es für die Akteure zu wissen, wie sie vorgehen können, wenn sie im Prozess nicht weiterkommen. Beispielweise wurde das Projektteam durch das Ablehnen der drei strategischen Allianzen vor diese Frage gestellt. Dabei sollte eine Ermittlung der Ursachen für das »Scheitern« eines Formats unternommen werden, um zu klären, woran es liegt, dass im Prozess keine Fortschritte erzielt wurden, was zu verändern ist und wo in den Dialog gegangen werden muss. Auf Basis eines solchen Reflexionsprozesses wurde in Bottrop 2018+ beispielsweise der Schluss gezogen, dass statt auf strategiegerichtete Veranstaltungen auf praxisorientierte (Reallabore) gesetzt werden sollte. Die Kommunikationsstrategie musste entsprechend angepasst und ein anderer Weg zur Strategieentwicklung gefunden werden. So wurde der BSC-Prozess angestoßen (Wiederholung der Schritte 4-7) und der Zeitraum für strategische Überlegungen seitens der Wirtschaftsförderung verlängert. Der Prozess ermöglichte die Mitarbeitenden im Amt ebenfalls verstärkt mitzunehmen und deren Bedenken gegenüber dem gesamten Prozess abzubauen (s. Weiterentwicklung der Wirtschaftsförderung). Innerhalb des BSC-Prozesses konnten die Schritte 8-10 angegangen werden. Mit Beginn der COVID-19-Pandemie und den damit einhergehenden Maßnahmen der Kontaktbeschränkung konnten die vorgesehen Maßnahmen jedoch nicht wie geplant umgesetzt werden. 

Vor diesem Hintergrund mussten die Kommunikation und die Formate in der zweiten Projektphase erneut überdacht werden (Wiederholung der Schritte 4-7). Besonders in Krisensituationen kann es hilfreich sein, auf das Monitoring zurückzugreifen und die Situation bzw. Lage der Stakeholder neu zu evaluieren (Schritte 1-3). Demzufolge hat das Amt für Wirtschaftsförderung und Standortmanagement eine Umfrage im Jahr 2021 mit dem Ziel durchgeführt, die Belange der Unternehmen abzufragen und die weiteren Maßnahmen dementsprechend anzupassen.

Abbildung 3.7 10 Schritte zur partizipativen Wirtschaftsförderung


3.7

Solche Prozesse verlaufen aber nicht in »Isolation«, sondern sind in den politischen, institutionellen und sozioökonomischen Rahmen des Standortes einzuordnen, sowie an die Fähigkeiten und Ressourcen der Akteure anzupassen. Die Erfahrungen im Projekt Bottrop2018+ verdeutlichen, dass Flexibilität und kontinuierliche Reflexion im Prozessverlauf essenziell sind. Die Kommunen/Wirtschaftsförderungseinrichtungen sollten daher in der Lage sein, das Feedback der beteiligten Gruppen rechtzeitig wahrzunehmen bzw. im Idealfall frühzeitig zu antizipieren und darauf durch Veränderungen der Formate, des Zeitmanagements oder durch andere Formen der Moderation (z.B. durch Externe) zu reagieren. Zu jedem Zeitpunkt sollten die Koordinator:innen der Prozesse wissen, wo sie sich im Prozess befinden und keine Angst haben, die Pläne unter Berücksichtigung des angestrebten übergeordneten Ziels zu ändern. Unter solchen Bedingungen können sich Wirtschaftsförderungseinrichtungen, mit ihrer Expertise, ihrem Spezialwissen und ihren Kontakten, in der Governance am Standort aktiv engagieren und Verantwortung für die wirtschaftliche Transformation durch die Durchführung von Partizipationsprozessen übernehmen. Diese Governancefunktion bringt die Notwendigkeit für organisationale Anpassungen innerhalb der Wirtschaftsförderungseinrichtungen mit sich. Die Gestaltung und Durchführung von Change-Management Prozessen innerhalb der Wirtschaftsförderungsorganisationen werden in Kapitel 4 thematisiert.


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Wagner-Endres, S. (2020). Kommunale Wirtschaftsförderung 2019. Strukturen, Aufgaben Perspektiven: Ergebnisse der Difu-Umfrage, Berlin 2020 (Difu Paper).