4. Change Management
- Die Forderungen an der Wirtschaftsförderung sich aktiv in der Transformation zu mehr Nachhaltigkeit und Resilienz zu beteiligen gehen mit der Notwendigkeit einher, die internen Strukturen und Prozesse so zu gestalten, dass eine breite Anwendung der Instrumente partizipativer Governance in allen Tätigkeitsbereichen und Handlungsmustern mündet.
- Vor diesem Hintergrund greift das Kapitel unterschiedliche Strategien der Neuausrichtung (Change-Management) auf und diskutiert deren Vor- und Nachteile. So zeichnen Experimentiergeist, Kooperation und Gestaltungsfreiheit die agilen Organisationen aus, bringen aber auch erhöhte Komplexität und Kommunikationsaufwand mit sich.
- Das Kapitel leitet deshalb 4 Prinzipien (Reflexion, Umgang mit Komplexität, Experimentierfreude und Austauschkultur) als Grundsteine der Wirtschaftsförderung für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung ab und bietet auf dessen Basis 3 Szenarien zur Aufstellung der Wirtschaftsförderung als Organisationen an.
- »Bottrop setzt um«: Nähere Erläuterung wie der Change-Management-Prozess in Bottrop initiiert und durchgeführt sowie der Zukunftsplan weiterentwickelt wurde.
- Die Praxisbeispiele stellen vor, wie die amtsbasierte Wirtschaftsförderung in Mannheim zu einer Matrixorganisation umgestellt wurde und was die Scrum-Methode für die Wirtschaftsförderung bieten kann.
»Es ist weniger die Organisationsform als vielmehr die Organisationskultur, die eine gelingende partizipative Wirtschaftsförderung ausmacht.«
Vorangetrieben durch die großen gesellschaftlichen Herausforderungen und insbesondere die sozial-ökologische und digitale Transformation (»Twin Transition«) sowie die damit verbundenen gesellschaftlichen und wirtschaftsstrukturellen Veränderungen, haben – wie in den vorangehenden Kapiteln aufgezeigt (Kapitel 1, Kapitel 3) – der Umfang und die Komplexität der freiwilligen Aufgaben kommunaler Wirtschaftsförderung in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Die Gestaltung von Transformationsprozessen hin zu einer zukunftsfähigen, d.h. nachhaltigen, resilienten und wettbewerbsfähigen Ausrichtung der lokalen und regionalen Wirtschaftsstrukturen rückt damit zunehmend in den Fokus der Wirtschaftsförderung. Dieser Aspekt manifestiert sich in dem von den Vereinten Nationen verabschiedeten Ziel 11 zur nachhaltigen Entwicklung von Städten, wo Kommunen eine zentrale Rolle bei der Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit zugeschrieben wird, dem europäischen Grünen Deal, der Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie (Bund 2021) sowie in der im November 2020 verabschiedeten Neuen Leipzig Charta (BBSR 2021). Hinzu kommen exogene Schocks wie die COVID-19 Pandemie oder die »Energiekrise« infolge des Krieges in der Ukraine, die unvorhersehbar auftreten und durch die Wirtschaftsförderung nicht beeinflussbar sind.
Mit der Forderung nach mehr Nachhaltigkeit und Resilienz sowie der Komplexität derartiger Transformationsprozesse und exogener Schocks gehen neue Anforderung an die Organisation und das Management von Wirtschaftsförderungen einher. Dies schließt neue Arbeitsweisen innerhalb der Wirtschaftsförderungseinrichtungen ebenso ein wie neue Form der Kollaboration und Partizipation (Kapitel 3). Zugleich gilt es im Sinne einer vorausschauenden Wirtschaftsförderung künftige Entwicklungen und Trends zu antizipieren. D.h. diese sind frühzeitig zu identifizieren, zu analysieren und vor dem Hintergrund der Rahmenbedingungen am Standort einzuordnen, um Transformationsprozesse aktiv zu gestalten.
Für eine gelingende partizipative Wirtschaftsförderung ist es somit essenziell, Strukturen und Arbeitsweisen zu etablieren, die eine strategisch ausgerichtete Zusammenarbeit der lokalen Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft sowie innerhalb der Wirtschaftsförderungseinrichtung ermöglichen. Diese müssen hinreichend flexibel sein, um den durch veränderte Rahmenbedingungen und Krisen induzierten Wandel aktiv zu gestalten, die lokalen Akteure mit ihren unterschiedlichen Interessen und Erwartungen zu orchestrieren und ein Lernen voneinander zuzulassen.
Mit solchen Strukturen ist die Erwartung verbunden, dass eine breite Anwendung der Instrumente partizipativer Governance in allen Tätigkeitsbereichen der Wirtschaftsförderung mittelfristig in veränderten Denkweisen und Handlungsmuster der Beschäftigten mündet. Zugleich kann die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Akteure vor Ort einen wesentlichen Beitrag leisten, um ein auf die Bedürfnisse der Zielgruppe abgestimmtes Angebot der Wirtschaftsförderung zu gewährleisten, strategische Ziele der Nachhaltigkeit und Resilienz zu realisieren sowie die Folgen exogener Schocks abzumildern. Den wirtschaftsfördernden Organisationen kommt dabei sowohl eine »Bonding«- als auch eine »Bridging«-Funktion zu. Mit dem Ziel der Vernetzung und Kollaboration stellt das »Bonding« dabei auf die Kommunikation, Aktivierung von und Interaktion mit den lokalen Akteuren ab. Das »Bridging« nimmt demgegenüber die Moderation der Schnittstelle in die Stadtverwaltung sowie zu anderen Initiativen und Projekten am Standort und darüber hinaus in den Blick.
Die »Neuausrichtung« der Wirtschaftsförderung sowie die damit verbundenen Prozesse des Change-Managements und der Organisationsentwicklung können die Effizienz von Prozessen erhöhen, sind zugleich jedoch mit Herausforderungen verbunden. Das Kapitel greift deshalb zunächst auf die einschlägige Literatur zurück, um den Prozess der Neujustierung von Prozessen in Organisationen unterschiedlicher Art (auch Verwaltung) zu resümieren, bevor auf Basis unserer Aktionsforschung in Bottrop und der Interviews mit Wirtschaftsförderer:innen die Frage adressiert wird, wie eine solche »Neuausrichtung« angegangen werden kann. Das Kapitel endet mit einem Ausblick der wichtigsten Prinzipien und möglichen Szenarien zur Neuausrichtung einer Wirtschaftsförderung für nachhaltiges Wirtschaften.
4.1 Organisationsentwicklung (in der Verwaltung) – Hype und Notwendigkeit
In Unternehmen und Organisationen haben sich Verwaltungspraktiken und Organisationsmethoden stets parallel entwickelt. Konzepte wie Personalentwicklung, Qualitätsmanagement oder Change-Management fanden bereits in den 1990er Jahren große Beachtung (Barthel 2020), waren und sind jedoch kein Selbstzweck. Organisationsentwicklung wird immer dann notwendig, wenn sich neue bzw. veränderte Aufgaben ergeben, die durch die etablierten Routinen, infolge mangelnden Wissens oder Kompetenz, nicht erfüllt werden können oder ein erhöhtes Konfliktpotenzial (z.B. wegen neuer Aufgabenzuschnitte) erwarten lassen. In solchen Situationen beginnt die Suche nach Lösungsansätzen. Abhängig von etwaigen Wissens-/Kompetenzlücken und Konfliktpotenzialen können unterschiedliche Strategien der Lösungsfindung ergriffen werden. Barthel (2020) veranschaulicht dies anhand einer Vier-Feld-Matrix (Abb. 4.1). In Situationen mit geringer Abweichung von etablierten Routinen, eignen sich Aus- und Fortbildungen, um gewisse Wissenslücken zu füllen (Feld 1). Dort wo größere Wissenslücken auftreten, aber geringes Konfliktpotenzial besteht, reicht vielfach der Rückgriff auf Expertenwissen (Feld 2). Im Gegensatz dazu erfordern sensible Situationen, in denen die Wissenslücken zwar klein sind, aber ein höheres Konfliktpotenzial zu erwarten ist (Feld 3), zur Erarbeitung von Kompromissen zusätzliches Wissen im Bereich von Führung und Management. Im Fall von großen Wissenslücken und hohen Konfliktpotenzialen sind in der Regel komplexere Management- und Steuerungsmethoden notwendig (Feld 4).
Die »Nachhaltige Transformation« (Kapitel 2) stellt für die Verwaltung und konkret für die Wirtschaftsförderung ein Thema bzw. Aufgabenfeld dar, was gleichermaßen neues Wissen voraussetzt und mit einem hohen Konfliktpotenzial einhergeht (Feld 4). Solche Situationen erfordern komplexere Ansätze der Organisationsentwicklung, nicht zuletzt, um durch Veränderungen induzierte Unsicherheiten auf Ebene der Mitarbeitenden zu reduzieren.
Allerdings will die Entscheidung zugunsten einer Neustrukturierung der Organisation wohl überlegt sein. Statt in Aktionismus zu verfallen und den Hype des »Neuen« kritiklos zu folgen, sollten zunächst die eigenen Routinen reflektiert sowie die Vor- und Nachteile einer Neuausrichtung abgewogen werden, um abhängig von den eigenen Zielen und Gegebenheiten den passenden Weg zu finden (Bornewasser 2020, Heidemann 2020, Kühl 2015). Dazu gehört auch eine Fehlerkultur zu etablieren, die einen toleranten Umgang mit und ein gemeinsames Lernen von Fehlern zulässt (Bestvater 2022). Im Fokus steht die Schaffung eines Umfeldes, das es ermöglicht aktuelle Themen zu bearbeiten und gesetzte Ziele zu erreichen. Bestehendes bzw. Bekanntes mit dem Neuen zu kombinieren, erweist sich dabei vielfach als zielführend.
So bieten gewachsene Strukturen nicht zu unterschätzende Vorteile. Sie tragen beispielsweise zur Komplexitäts- und Unsicherheitsreduktion bei, da sie einen konkreten, erprobten Handlungsrahmen bieten, um gesetzte Organisationsziele zu erreichen. Treten hingegen Diskontinuitäten durch z.B. exogene Schocks auf, die mit Unsicherheiten einhergehen oder verändern sich die Anforderungen an die Organisation auf, ist es wichtig über die Fähigkeit zu verfügen, flexibel darauf zu antworten zu können. Auf dieser sog. »dynamischen Fähigkeit« basiert das Konzept der resilienten Organisation (Bornewasser 2020: 62).
Resiliente Organisationen (Abb. 4.2) zeichnen sich durch agile Organisationsformen aus. Dabei sind »Hierarchie und operativer Prozess [...] formell nicht mehr strikt miteinander verknüpft, weniger streng durchorganisiert und deutlich lockerer gekoppelt« (Bornewasser 2020: 62). Damit wird den Mitarbeitenden mehr Autonomie zugesprochen, die dann mit der Organisationsstrategie auf anderen Wegen rückgekoppelt wird (z.B. durch kürzere, aber regelmäßige Meetings (Praxisbeispiele). Solche Strukturen begünstigen die interne und externe Kooperation, ermöglichen ein »Learning by Doing« durch gemeinsames Experimentieren und bieten den Mitarbeitenden größere Gestaltungsfreiheit. Dies kann zur Erhöhung der Flexibilität und Effizienz beitragen.
Agilität ist nicht als Heilmittel zu verstehen, eignet sich für die Wirtschaftsförderung jedoch, um neue Themen zu erschließen, kooperative Prozesse – auch mit Stakeholdern außerhalb der eigenen Organisation – anzustoßen oder gemeinsame Projekte zu bearbeiten. In agilen Organisationen werden durch die Selbstorganisation von Teams vielfach neue, flache Hierarchien geschaffen. D.h., eine agile Organisation ist keineswegs hierarchiefrei. Es gilt weiterhin Ziele zu setzen und Entscheidungen zu treffen. Grenzen, Regeln und Strukturen sind daher essenziell für jede Organisation, denn ohne sie verlieren Organisationen ihr »Gesicht« bzw. »Konturen« gegenüber der Umwelt (Kühl 2015). Kühl’s (ebd.) Ansatz der »Funktionalen Hierarchie« als ein möglicher Lösungsansatz sieht die Etablierung von Steuerungs- und Koordinationsfunktionen an der Problemschnittstelle vor, statt sie an der Organisationsspitze zu konzentrieren. So kann es sich etwa für die Etablierung eines neuen Themenfeldes wie nachhaltiges Wirtschaften als sinnvoll erweisen, diese Aufgabe an ein Team von Mitarbeitenden mit relevantem Expert:innenwissen zu übertragen, welche die Steuerung und Koordination übernehmen, statt dies bei der Leitung zu verankern.
Eine solche – den Kern der agilen Organisationen bildende – dauerhafte Dezentralisierung von Entscheidungsprozessen und Selbstorganisation der Mitarbeitenden erhöht allerdings zugleich die Komplexität der Organisationsprozesse. Um die Aktivitäten der Teams rückzukoppeln und aufeinander abzustimmen – auch mit Blick auf die Gesamtstrategie der Wirtschaftsförderung – bedarf es Absprachen und der Kommunikation zwischen den Teams und mit der Leitung. Die Delegation von Verantwortung verlangt einerseits die Bereitschaft der Mitarbeitenden diese zu übernehmen, sowie andererseits regelmäßige Rückkopplung von Zielen und messbaren Ergebnissen (Bornewasser 2020, Kühl 2015). Daneben sollte die Umstrukturierung in Richtung agile Organisation mit intensiven Personalgesprächen einhergehen, um alle Mitarbeitende mitzunehmen und damit die mit Veränderungen verbundenen »Ängste« und »Unsicherheiten« abzumildern.
Resümierend lässt sich festhalten, dass die Neuausrichtung/-strukturierung einer Organisation nicht darin besteht, ein »prominentes« Konzept auszuwählen und umzusetzen, sondern darin einen partizipativen Veränderungsprozess anzustoßen. Es geht darum, »Organisationen nicht zu perfektionieren, sondern fehlerfreundlich zu gestalten« (Kühl 2015: 123). Dabei gilt die Maxime »Form follows Function«, d.h. die Organisationsstruktur ergibt sich aus den Funktionen der Wirtschaftsförderung. Dazu bedarf es eines strategischen »Change Managements«. In Bottrop 2018+ haben wir einen Prozess der Neuausrichtung des Amts für Wirtschaftsförderung und Standortmanagement angestoßen und mit weiteren Wirtschaftsförderungen reflektiert. Der Folgeabschnitt thematisiert die erarbeiteten Wege einer Neuausrichtung.
4.2 Change Management – Veränderungen in der Wirtschaftsförderung anstoßen und umsetzen
»Die moderne Wirtschaftsförderung ist daher mit verwaltungsinternen, ressortübergreifenden Entscheidungskompetenzen auszustatten« (Deutscher Städtetag 2018: 30). Dieser Satz des Deutschen Städtetages fordert alle Wirtschaftsförderungen auf, ihre Organisationsform bezüglich neuer/veränderten Aufgaben und erhöhter Erwartungen kritisch zu reflektieren und zu überprüfen. Der Querschnittscharakter von Themen wie Digitalisierung oder nachhaltiges Wirtschaften verlangen eine ämter- bzw. fachübergreifende Kompetenz der Wirtschaftsförderung und damit auch eine Anpassung der Kultur und des Selbstverständnisses, der Strukturen und Prozesse, sowie eine gute Einbettung in den Verwaltungsstrukturen vor Ort und eine strukturierte Zusammenarbeit mit allen relevanten Stakeholdern, z.B. in der Form von Allianzen (ebd.; Wagner-Endres et al. 2021).
Derartige Veränderungsprozesse sind für die deutsche Wirtschaftsförderung nicht neu. In unseren Workshops mit Wirtschaftsförderer:innen stellte sich z.B. heraus, dass sich die meisten Teilnehmenden aktuell in einem solchen Prozess befinden bzw. in der jüngeren Vergangenheit abgeschlossen haben (Rabadjieva & Terstriep 2022). Ebenso sprachen in den von uns durchgeführten Interviews rund ein Drittel der Wirtschaftsförderer:innen von einer Veränderung nach innen in Richtung höherer Flexibilität und flacherer Hierarchien – also Agilität (Rabadjieva & Terstriep 2021). Jedoch existiert kein allgemein gültiger Rahmen im Sinne eines Vorgehensmodells für die Neuausrichtung. Vielmehr ist es den wirtschaftsfördernden Organisationen überlassen, wie sie die Neuausrichtung angehen und was sie beinhalten soll. Es sind unterschiedliche Strategien denkbar (Infobox 4.1) und es gibt keine Vorgaben und Hinweise dafür, welche Organisationsform sich am besten für die Bearbeitung von Zukunftsthemen eignet. Vielmehr gilt hier auch die Maxime »Form follows Function«, oder eben die passgenaue rechtliche Organisationsform abhängig von der standortspezifischen Strategie und den Rahmenbedingungen auszuwählen. (Blanz 2019).
Es bedarf individueller Lösungen, die auf die Gegebenheiten und Herausforderungen der einzelnen Standorte (Gemeinden, Städte, Regionen, Nationen etc.) zugeschnitten sind (Deutsche Städtetag 2018). Dabei gilt es die Bedürfnisse und Anforderungen der Unternehmen am Standort zu berücksichtigen ebenso wie ein geeignetes Finanzierungsmodell zu finden. So ist zu klären, wer geeignet ist die Wirtschaftsförderung zu finanzieren: die Kommune selbst (Wirtschaftsförderung als Verwaltungseinheit oder Tochtergesellschaft), Sparkassen und Banken als Stakeholder oder auch die Unternehmen in einer wirtschaftlichen Form (z.B. GmbH oder AG; Blanz 2019). In allen Fällen erfordert eine erfolgreiche Wirtschaftsförderung »eine verbindliche Ressourcenausstattung und politische Unterstützung« (Deutscher Städtetag 2018: 28).
Vor diesem Hintergrund ist ein Change-Management-Prozess in Abhängigkeit der lokalen Bedingungen und Ressourcen zu planen. Unter »Change-Management« (dt. Veränderungsmanagement) verstehen wir nachfolgend die aktive, strategisch ausgerichtete Gestaltung (Vorbereitung, Analyse, Planung) und Umsetzung von Veränderungsprozessen in der Wirtschaftsförderung, einschließlich der Evaluierung und kontinuierlichen Fortentwicklung der Prozesse. Derartige Veränderung beziehen sich gleichermaßen auf die Neuausrichtung von Strukturen und Arbeitsweisen und gehen in der Regel mit Veränderungen auf der individuellen Ebene der Mitarbeitenden einher. Sie stellen aber keinesfalls einen Selbstzweck dar, sondern setzen eine Zielstellung und eine Vision voraus (Schmid & Seipel 2019).
Mit diesen Überlegungen haben wir innerhalb von Bottrop 2018+ einen Change-Management-Prozess angestoßen, der sich über fünf Jahre erstreckte. Die erste Phase (2016-2019) stellte auf die kollaborative Entwicklung einer gemeinsamen Vision und langfristiger Ziele für den Wirtschaftsstandort mit den relevanten Stakeholdern am Standort ab. Dazu wurde ein umfangreicher Balanced-Scorecard-Prozess (BSC-Prozess) durchgeführt (Rabadjieva et al. 2018). Als Ergebnis wurde der Zukunftsplan als gemeinsames Strategiepapier entwickelt, der einen intensiven Austausch und gemeinsame Bearbeitung von Querschnittsthemen voraussetzt (Bottrop setzt um). Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Interessen, Handlungsmuster und Denkweisen, war diese thematische Neuausrichtung keineswegs konfliktfrei.
Unstrittig ist – und dies bestätigen gleichfalls unsere eigenen Erfahrungen der Aktionsforschung und unsere Interviews mit wirtschaftsfördernden Einrichtungen in Deutschland (Rabadjieva & Terstriep, 2021) –, dass Veränderungsprozesse in der Wirtschaftsförderung nur dann funktionieren können, wenn die Mitarbeitenden die Neuausrichtung verstehen, befürworten und umsetzen. Damit das gelingen kann, sind die Mitarbeitenden von Beginn an in den Prozess einzubeziehen. Dies ermöglicht es Widerstände, Sorgen, Ängste und Unsicherheiten frühzeitig zu erkennen, Vertrauen – auch in die eigenen Fähigkeiten – zu stärken und die Bereitschaft neue Pfade zu beschreiten zu erhöhen. Insofern bildet die Organisationsentwicklung ein zentrales Element des Change-Managements und bildete in Bottrop 2018+ den Schwerpunkt der zweiten Projektphase (2020-2022).
Während der BSC-Prozess eine Einigung über Inhalte anstrebte, wurde ein Mixed-Method-Ansatz angewandt, um die Notwendigkeit einer Neuausrichtung der internen Arbeitsweisen zu verdeutlichen und gemeinsam mit den Beschäftigten des Amts für Wirtschaftsförderung und Standortmanagement einen Veränderungsprozess auszuarbeiten. Basierend auf einer einwöchigen teilnehmenden Beobachtung, Interviews und Workshops, wurden Prozesse mit Optimierungspotenzial identifiziert (Bottrop setzt um). Statt vorgefertigte Lösungsansätze anzubieten, haben wir mittels aktivierender Koordination und Moderation die Selbstreflexion und organisation des Amtes unterstützt, um im Sinne dynamischer Fähigkeiten die Lösungskompetenz der Mitarbeitenden zu steigern.
Solche Prozesse durchzuführen, kann langwierig und sehr ressourcenintensiv sein. In Fall von Bottrop 2018+ war die Durchführung ein zentrales Element des Projekts in Form eines Arbeitspakets. Alternativ bietet sich die Einbindung externer Moderator:innen an oder der Rückgriff auf bereits vertraute Methoden und Techniken. So hat die Leitung des Amtes für Wirtschaftsförderung und Standortmanagement in Bottrop beispielsweise in der zweiten Projektphase auf die Techniken des BSC-Prozesses zugegriffen, um die interne Strategie in Eigenverantwortung zu schärfen. Dies zeigt, dass eine Schulung in Methoden der Selbstreflexion hilfreich sein kann oder zumindest, dass nach einer erfolgreichen ersten Anwendung die Durchführung in Eigenregie möglich ist.
Mit dieser Erkenntnis wurden weitere passgenaue Werkzeuge erarbeitet und den Mitarbeitenden vorgestellt (Bottrop setzt um). Im Prozess stellte sich schnell heraus, dass dem Amt Werkzeuge und Routinen für den systematischen Austausch und vor allem für die Evaluation von Aktivitäten und Projekten sowie zur Wissensdokumentation fehlen. Solche Werkzeuge und Fähigkeiten sind deshalb essenziell, da eine organisationale Neuausrichtung mit erhöhtem Kommunikationsaufwand verbunden ist, was auch in unseren Workshops mit Wirtschaftsförderer:innen bestätigt wurde (Rabadjieva & Terstriep 2022). In Bottrop, wie auch an anderen Standorten, herrscht zwar eine Austauschkultur zwischen den Mitarbeitenden, jedoch überwiegend informell (Flurgespräche) oder in wöchentlichen Jour Fixes (Bottrop setzt um). Zudem wird die Dokumentation von Prozessen und die Pflege von Kontakten sehr individuell und mitarbeitendenspezifisch durchgeführt, was eine Übergabe oder Zusammenarbeit erschwert.
Neben Werkzeugen, die punktuell Planung, Austausch und Dokumentation von Arbeitsweisen unterstützen, können zur Professionalisierung bzw. Anpassung an den neuen Anforderungen ganze Prozesse umgedacht werden (Infobox 4.1). So wurde während unserer Online-Werkstatt #3 »Scrum« als agile Methode für die Wirtschafsförderung vorgestellt (Praxisbeispiele). Im Rahmen sogenannter Wochen-, Monats- und Halbjahres-Scrums (kurze Meetings) zu projektbezogenen Themen berichten Mitarbeitende in verkürzter Form zum Stand der Wochen-, Monats- und Halbjahresziele. Diese Methode ermöglicht es, allen Mitarbeitenden schnell und ohne zusätzlichen Aufwand einen Überblick zum Status quo im jeweiligen Themenfeld zu vermitteln. Angemerkt wurde jedoch, dass vor allem zu Beginn Disziplin gefragt ist. Der Prozess ist kein »Selbstläufer« und die Mitarbeitenden müssen sich bewusst vornehmen, sich in dieser Form auszutauschen.
Ein weiterer Ansatz ist eine vollständige Neuorganisation, die nicht nur einzelne Prozesse in den Blick nimmt, sondern daneben Strukturen verändern will (proaktive Neuausrichtung). Ein diesbezügliches Beispiel ist die Wirtschaftsförderung Mannheim, die von einer linearen Amtsstruktur 2010 in eine Matrixorganisation überführt wurde (Praxisbeispiele). Zwar stellte der Übergang eine große Herausforderung für die Leitung und die Mitarbeitenden dar, mündete allerdings in einer erhöhten Zufriedenheit der Akteure am Standort mit der Wirtschaftsförderung und einer erhöhten Effizienz der internen Prozesse. Kern der realisierten Matrixorganisation ist, dass der/die Kund:in nur eine/n Ansprechpartner:in in der Wirtschaftsförderung hat, wobei die Matrixstruktur den internen bilateralen Austausch zwischen den Mitarbeitenden nicht ersetzt. Vielmehr sollten die Mitarbeitenden die Arbeit der Kolleg:innen gut genug kennen, um eigenständig mögliche Überschneidungen zu erkennen und an die Zusammenarbeit zu denken. Der formelle Austausch zwischen den Mitarbeitenden erfolgt weiterhin im Rahmen von Jour Fixes. Dem reziproken kontinuierlichen Informationsaustausch der Mitarbeitenden kommt daneben ein zentraler Stellenwert für die gelingende Matrixorganisation zu. Damit bestätigt sich der eingangs angesprochene erhöhte Kommunikationsaufwand.
Das Beispiel der Wirtschaftsförderung Mannheim zeigt, dass flache Hierarchien auch in Verwaltungsstrukturen möglich sind. Allerdings wurde zugleich betont, dass die Umstrukturierung die Zusammenarbeit mit den anderen klassisch aufgestellten Verwaltungseinheiten (Ämter) mit ihren eher hierarchischen Strukturen erschweren kann (Rabadjieva & Terstriep, 2021). Dies zeigt deutlich, dass die Rechtsform und die Arbeitsorganisation nicht zwingend zusammenhängen. Ebenso wenig ist eine Neustrukturierung Garant für eine erfolgversprechende Einbettung der Wirtschaftsförderung in städtische Strukturen. Diese bleibt immer personen- und standortabhängig. Es ist also weniger die Organisationsform als vielmehr die Organisationskultur, die eine gelingende partizipative Wirtschaftsförderung nach innen und nach außen ausmacht. Vor diesem Hintergrund leiten wir im nächsten Abschnitt die aus unserer Sicht wichtigsten Prinzipien der agilen Wirtschaftsförderung ab und stellen mögliche Szenarien der Umstrukturierung vor.
4.3 Ausblick: Wirtschaftsförderung für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung
Kapitel 2 hat sehr klar verdeutlicht, dass es heutzutage nicht mehr nur um Wirtschaftsförderung oder Wirtschaftsentwicklung geht, sondern um »nachhaltige Wirtschaftsentwicklung«. Im Zuge gesellschaftlicher und sozial-ökologischer Transformationsprozesse sollte sie als strategisches Ziel ganz oben auf den Agenden aller Standorte stehen. Nachhaltiges Wirtschaften und nachhaltige Wirtschaftsentwicklung bilden bisher allerdings eher die Ausnahme als die Norm (Kapitel 2). Dessen ungeachtet ist zu erwarten, dass das Thema künftig immer relevanter wird, Konfliktpotenziale, etwa in Bezug auf die Flächennutzung, zunehmen und die Ansprüche an Informations- und Unterstützungsangebote seitens der lokalen Stakeholder zunehmen werden. Dabei zeichnet sich bereits heute ab, dass sich diesbezügliche Angebote der Wirtschaftsförderung im Zeitverlauf formen und standardisieren werden. Bis dahin müssen Wirtschaftsförderungen mit unterschiedlichen Methoden und Formaten experimentieren. Durch das gesamte Buch haben wir betont, dass sich ein ambitioniertes Ziele wie nachhaltiges Wirtschaften/ Wirtschaftsentwicklung nicht in Eigenverantwortung einer einzelnen Organisation realisieren lässt, sondern die aktive Einbindung einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure verlangt. Vor diesem Hintergrund sind partizipative Governancemodelle (Kapitel 1) und Formate (Kapitel 3) essenziell. Die Umsetzung dieser Modelle und Formate kann aber nicht losgelöst von anderen laufenden Prozessen und Projekten stattfinden. Die nachhaltige Wirtschaftsentwicklung verlangt an erster Stelle Zusammenarbeit und Kommunikation zur effizienten Nutzung von Ressourcen und Wissen. In diesem Sinne ergibt sich die Notwendigkeit bestehende Strukturen, Denkweisen, Handlungsmuster und Arbeitskulturen zu überdenken und in Richtung »Form follows Function« zu lenken. Dabei bildet die Reflexion des Status quo der Organisation, ihrer Prozess und Strategie eine zentrale Voraussetzung, ebenso wie die Fähigkeit, die lokalen, regionalen, nationalen und globalen Entwicklungen im Blick zu behalten, künftige Entwicklungen zu antizipieren und sich bietende Chancen der Transformation zu nutzen.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen und der zuvor geschilderten Erfahrungen können wir vier Grundprinzipien für eine auf nachhaltige Entwicklung abstellende Wirtschaftsförderung ableiten:
Prinzip 1: Kontinuierliche Selbstreflexion
Reflexivität steht allgemein für »In-Frage-Stellen« der eigenen organisationalen Praktiken, also die kritische Auseinandersetzung damit, was funktioniert und was erneuert/angepasst werden muss (Heidemann 2020). Es gilt dabei nicht im Sinne eines »Entweder-oder« Inhalte und Prozesse abzuwiegen, sondern vielmehr ein »Sowohl-als-auch« zu ermöglichen (Kühl 2015). Es geht darum, Ziele und Messgrößen zu setzen (Kapitel 2) und Umsetzungsstrategien zu definieren. Dabei sollte eine Balance zwischen Hierarchie und dezentraler Verantwortung gesichert und die Kontrolle zwischen Mitarbeitenden und Management geteilt werden, um (Frei-)Raum für gelebte Stabilität und Flexibilität zu schaffen. Um dies zu erreichen, sollten alle Mitarbeitenden und Führungskräfte in eine Kultur der kontinuierlichen Selbstreflexion eingeführt werden.
Prinzip 2: Kompensation von Komplexitätszuwächsen
Flexible Arbeitsorganisation mit flachen Hierarchien und die damit verbundene Flexibilisierung und Dezentralisierung der Entscheidungsfindung bedingt einen erhöhten Kommunikationsaufwand und geht mit einem – zumindest »gefühlten« – Komplexitätszuwachs in der alltäglichen Arbeit einher. Ein solcher Komplexitätszuwachs kann dazu beitragen, dass Entscheidungen nicht zwingend für jede/n transparent sind, sprich unüberschaubar werden (Kühl 2015). Dieses sog. »Komplexitätsdilemma« gilt es durch schlanke, überschaubare innere Strukturen zu kompensieren (ebd.). Entscheidungsfreiheit soll nicht heißen, dass Mitarbeitende jeden Tag über neu aufkommende Fragen entscheiden müssen, sondern, dass sie entsprechend ihrer jeweiligen Kompetenzen entscheiden dürfen. Dies betrifft nicht nur das Individuum, sondern auch Teams, die in einer agilen Organisation unter Umständen fluider werden. Transparenz lässt sich dadurch gewährleisten, dass den Mitarbeitenden klar ist, wen sie ansprechen können und wie die alltägliche Arbeit zu organisieren ist.
Prinzip 3: Reziprokes Lernen und Experimentierfreude
Die vorausschauende Wirtschaftsförderung braucht Offenheit gegenüber Neuem und die Fähigkeit die Chancen des Neuen zu erkennen und zu nutzen. Dafür sind Lernbereitschaft und Experimentierfreude unter den Mitarbeitenden unentbehrlich, zugleich jedoch bei den Beschäftigten unterschiedlich ausgeprägt. Den Mitarbeitenden sollte daher der Raum gegeben werden sich zu entfalten und weiterzubilden sowie mit neuen Techniken und Formaten zu experimentieren. Dazu gehört auch eine Fehlerkultur im Team zu etablieren, in der sich alle frei fühlen über Fehler und misslungene Ansätze zu sprechen und von den Erfahrungen zu lernen. Zuweilen bedarf es hierfür Anreizmechanismen (»Incentives«) und/oder Nudges (»Anstupser«) durch das Management, etwa durch zeitliche Freiräume, Möglichkeiten zur Weiterbildung, soziale Anerkennung oder die Übertragung von Verantwortung. Es bedeutet aber auch das Teamgefühl zu fördern.
Prinzip 4: Austauschkultur
Die aktive Förderung von Teamgefühl und Austauschkultur bedeutet, statt auf die Effizienz von einzelnen Mitarbeitenden oder Einheiten auf die Gestaltung von Aktionen und Interaktionen zwischen den Mitarbeitenden oder Einheiten zu setzen (Kühl 2015). Einfache Maßnahmen können eine Agenda für das JourFix sein, die immer eingehalten wird, oder die Kaffeemaschine in Erholungsraum, wo sich alle Mitarbeitenden morgens treffen. In Zeiten von immer flexibleren Arbeitsmodellen (Mischung aus Vor-Ort und Home-Office) wird aber die Notwendigkeit zur aktiven Gestaltung von Austauschmöglichkeiten spürbar. Dabei sollen nicht nur Expert:innenwissen, sondern auch Alltagserlebnisse und Sichtweisen ausgetauscht werden. Dies ist besonders in Einheiten wie der Wirtschaftsförderung, die von Netzwerken leben, essenziel.
Diese vier Prinzipien sind weder neu, noch kompliziert. Sie können und sollten in jeder Rechtsform aufgegriffen und umgesetzt werden. Mit den nachfolgenden Szenarien werden drei alternative Entwicklungspfade und Zukunftsbilder für die Aufstellung der Wirtschaftsförderung vorgestellt. Diese Szenarien wurden im Rahmen von Bottrop 2018+ für das Amt für Wirtschaftsförderung und Standortmanagement Bottrop entwickelt, können aber von der konkreten Amtsstruktur in Bottrop abstrahiert werden. Die Szenarien sollen zeigen wie die Organisationsstruktur (hierarchisch oder dezentralisiert) die Arbeitsweisen und die Umsetzung der vier Prinzipien beeinflusst
Szenario 1: Die reaktive Wirtschaftsförderung
Dieses erste Szenario sieht eine Rückbesinnung auf die klassischen Wirtschaftsförderungsaktivitäten vor und setzen damit einen klaren Gegenpol zu der, in den vergangenen Jahren zu beobachten, kontinuierlichen Ausweitung des Aufgabenportfolios. Mit der Frage »Wo kommen wir her?«, richtet sich der Fokus auf die originären Wirtschaftsförderungsaktivitäten. Zentrale Aufgaben und Handlungsfelder bilden z.B. die Bestandspflege, die Gründungsförderung und die Innenstadtentwicklung sowie eine begrenzte Anzahl standortspezifischer Branchenschwerpunkte, wie z.B. Gesundheits- und Freizeitwirtschaft. Punktuell kommen weitere Themen hinzu, die im Rahmen Drittmittel-finanzierter Projekte bearbeitet werden oder ergänzende Aktivitäten, wie die Initiierung und Moderation von Reallaboren als Experimentierräume.
Organisationsstruktur
Zur Erfüllung dieser Aufgaben kann die in Abb. 4.3 dargestellte (und an Bottrop angelehnte) hierarchische Organisationsstruktur mit Amtsleitung und Abteilungen beibehalten werden. Eine aktive Beteiligung der lokalen Akteure an den wirtschaftsfördernden Aktivitäten im Sinne einer partizipativen Governance ist nicht vorgesehen. Die Organisationsstruktur sieht eine Mischung von Haushalts- und Projektstellen vor.
Arbeitsweise & Organisationsprinzipien
Eine Selbstreflexion der eigenen Aktivitäten kann in größeren Abständen (z.B. alle 5 Jahre) oder projektbezogen stattfinden, wird aber durch den Routine-Charakter der Tätigkeiten nicht kontinuierlich durchgeführt. Die Arbeitsorganisation zeichnet sich durch eine niedrige Komplexität dank hierarchischer Strukturierung aus. Dies beinhaltet den Erfahrungs- und Wissensaustausch innerhalb von festgelegten Abteilungen, der je nach Bedarf durch eine punktuelle abteilungsübergreifende Zusammenarbeit sowie den ohnehin stattfindenden informellen Austausch zwischen den Mitarbeiter:innen ergänzt wird. Die strategische Ausrichtung der wirtschaftsfördernden Aktivitäten obliegt dem Leitungsteam bestehend aus Amts- und Abteilungsleitungen und erfolgt ohne bzw. mit nur punktueller Beteiligung der Mitarbeitenden. Vorausschauende wirtschaftsfördernde Aktivitäten (»Foresight«) sind nicht Bestandteil der gängigen Arbeit.
Für viele Wirtschaftsförderungen bedeutet Szenario 1 keine Neuausrichtung, sondern die Überlegung, welche Projekte notwendig sind, um bestimmte Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Dazu sind aber in jedem Fall Ressourcen für die Akquise von Projekten notwendig. Die Selbstreflexion, der Austausch und das Lernen können durch gezielte Werkzeuge (Werkzeugkasten) unterstützt werden. Die Etablierung einer Fehlerkultur für die gesamte Organisation wird sich infolge der abteilungsbezogenen Zusammenarbeit als schwierig erweisen, ebenso wie die Realisierung abteilungsübergreifender Lerneffekte.
Szenario 2: Die dezentralisierte Wirtschaftsförderung
In diesem zweiten Szenario nimmt die Wirtschaftsförderung die Rolle als Impulsgeber, Initiator und Brückenbauer auf dem Weg zu einer nachhaltigen und resilienten und damit wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstruktur am Standort an. Sie stellt sich proaktiv dem Komplexitätszuwachs der Aufgaben und künftig zu erwartenden dynamischen Veränderungen der Rahmenbedingungen, durch die Etablierung zukunftsorientierter thematischer Handlungsfelder, die eine effiziente und flexible Bearbeitung relevanter (Zukunfts-)Themen ermöglichen (Abb. 4.4). Mit einer gemeinsam von den Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung erarbeiteten Vision und Strategie wird die notwendige strategische Grundlage für die Wirtschaftsförderung gelegt. Die aktive und kontinuierliche Beteiligung aller Akteure an den wirtschaftsfördernden Aktivitäten im Sinne einer partizipativen Wirtschaftsförderung bildet einen zentralen Baustein, ebenso wie die Schaffung von Experimentierräumen zur Erprobung neuer Lösungen unter Berücksichtigung sozialer, ökologischer und ökonomischer Aspekte.
Organisationsstruktur
Um diesem Anspruch gerecht zu werden, tritt an die Stelle der hierarchischen Organisationsstruktur die Zusammenarbeit in cross-funktionalen thematischen Hubs. Eine solche thematische Bündelung von Kompetenzen erlaubt es Synergiepotenziale zu nutzen, neue Anforderungen flexible und schnell aufzugreifen, etwaige Lücken in dem Angebots- und Kompetenzportfolio aufzudecken und zu schließen sowie die Schnittstellen in Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft und die Zusammenarbeit mit den lokalen Akteuren zu optimieren und effizienter zu gestalten. Die Abbildung zeigt eine hypothetische Struktur aus den sechs Hubs »Ressourceneffizienz & Klimawandel«, »Gründungen, Innovation & Hochschulangelegenheiten«, »Unternehmenskommunikation«, »Markenbildung«, »Services« und »Fachkräfte«. Themen wie »Digitalisierung« und »Datenmanagement« kommt eine Querschnittsfunktion zu.
Arbeitsweise & Organisationsprinzipien
Die Arbeitsweise in thematischen »Hubs« ist geprägt durch selbstbestimmtes, vorausschauendes und zielgerichtetes Handeln und dem klaren Willen zur Gestaltung nachhaltiger und resilienter Wirtschaftsstrukturen am Standort. Eine offene und transparente Kommunikation innerhalb der eigenen Organisation und nach Außen sind ebenso zentraler Bestandteil wie das kontinuierliche Monitoring und die Evaluation der Zielerreichung. Im Sinne der partizipativen Wirtschaftsförderung werden Experimentierräume zur gemeinsamen Erprobung neuer Methoden, Verfahrensweisen, Produkte/Dienstleistungen etc. aufgesetzt und Dialogformate für interessierte Wirtschaftsakteure am Standort initiiert. Vierteljährlich stattfindende gemeinsame Treffen aller Mitarbeitenden dienen dazu, die Aktivitäten in den thematischen Handlungsfeldern zu reflektieren sowie sich zu neuen Entwicklungen, Trends und möglichen Schnittstellen auszutauschen. Neben diesem persönlichen Wissens- und Erfahrungsaustausch wird die Etablierung eines zentralen Daten- und Informationsmanagements als Instrument des Monitorings, der Ergebnissicherung und des Wissenstransfers vorgenommen.
Zur Realisierung dieser anspruchsvollen Aufgaben bedarf es einer strategischen Personalentwicklung durch Weiterqualifizierung. Entwickelte Werkzeuge liefern dabei wichtige Hilfestellungen (Werkzeugkasten). Denkbar ist auch die Anwendung von Methoden wie »Scrum«.
Szenario 3: Die integrierte Wirtschaftsentwicklung
In diesem dritten Szenario wird ein agiles Arbeiten in flexiblen Strukturen ermöglicht, die andere Mitarbeitende der Stadtverwaltung in die Wirtschaftsförderungsaktivitäten einbeziehen. Als agile Organisation agiert die Wirtschaftsförderung in komplexen und dynamischen Situationen zeitnah, flexibel und kontextbezogen, um den Nutzen der Aktivitäten für die lokale Wirtschaft, die breite Stadtgesellschaft und die eigene Organisation zu optimieren. Hierfür gilt es, eine Balance zwischen formalen Strukturen und Selbstorganisation, die Flexibilität schafft, zu finden.
Organisationsstruktur
Die wirtschaftsfördernden Aktivitäten werden in zeitlich befristeten »Hubs« organisiert, die sich in Abhängigkeit vom bearbeiteten Thema/Problemstellung/Herausforderung aus Mitarbeitenden der Wirtschaftsförderung und anderer Verwaltungseinheiten sowie ggfs. weiterer Wirtschaftsakteure flexibel zusammensetzen (Abb. 4.5). Eine solche Organisationsform garantiert nicht nur die höchstmögliche Flexibilität, sondern erlaubt zugleich ein interdisziplinäres Arbeiten durch die lösungsorientierte Bündelung passgenauer Kompetenzen und Fähigkeiten. Zugleich verlangt die Realisierung solcher Hubs die Bereitschaft für agiles Arbeiten auf Seiten der anderen Verwaltungseinheiten. Es ist mit einer längeren Einarbeitungsphase aller Beteiligten auszugehen, um sich mit der Struktur vertraut zu machen. Daneben bedarf es geeigneter Räumlichkeiten, die ein Arbeiten in flexiblen Teams und Hub-übergreifend ermöglichen (z.B. mobile Arbeitsplätze, Gesprächsecken, Ruheräume/Boxen zum Telefonieren etc.).
Arbeitsweise & Organisationsprinzipien
Die Arbeitsweise der Wirtschaftsförderung orientiert sich wie in Szenario 2 an einer Strategie für den Standort. Dabei geht das Arbeiten einher mit einer Dezentralisierung von Entscheidungsprozessen und einem hohen Grad an Selbstorganisation. Die Bearbeitung der Themen ist durch einen iterativen Prozess von Planen, Experimentieren/Implementieren, Evaluieren und Anpassen sowie Rückkoppelungen in und Feedback an die anderen Hubs gekennzeichnet. Flankiert wird dieser Prozess und der übergreifende Wissensaustausch durch ein modernes datenbasiertes (qualitative und quantitative) Wissensmanagement. Eine offene Kommunikation nach innen und außen sind dabei ebenso relevant wie die Kommunikation auf Augenhöhe. Daneben bedarf es einer gewissen Sensibilität für die Bedürfnisse der einzelnen Mitarbeitenden, um ihre spezifischen Fähigkeiten und Kompetenzen zur Entfaltung zu bringen. Dies beinhaltet eine Fehlerkultur zu etablieren, die tolerant gegenüber Fehlschlägen ist und diese als Chance zum gegenseitigen Lernen begreift. Zugleich gilt es sich durch entsprechende Mechanismen der kontinuierlichen Reflexion gegen unabsehbare Risiken abzusichern.
Die drei Szenarien stellen Beispiele dafür dar, wie unterschiedliche Grade der Agilität und Flexibilität in der Wirtschaftsförderung erreicht werden können und welche Spielräume diese aus unserer Sicht zulassen. Je flexibler und partizipativer die Wirtschaftsförderung als Tätigkeit angelegt ist, desto fluider und anpassbarer werden die Arbeitsweisen der Wirtschaftsförderung als Organisation. Dabei steht hinter keinem der Szenarien eine konkrete Rechtsform, denn »Form follows Function«. D.h., die Organisationsform folgt der Funktion und die realen Arbeitsweisen werden irgendwo dazwischenliegen. Die in diesem Buch vorgestellten Werkzeuge, Prozesse und Methoden können helfen, sich schrittweise dem ein oder anderen Szenario anzunähern, um eine Wirtschaftsförderung für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung zu gewährleisten. Welches Szenario genau das sein wird, hängt von den lokalen Bedingungen, Gegebenheiten und Willen der Akteure (Verwaltung, Politik und Wirtschaft) ab.
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