Strategische Allianzen als Mittel zur lokalen Wirtschaftstransformation
Thomas Merten, Nils Seipel
Faktor 10 – Institut für nachhaltiges Wirtschaften
Judith Terstriep
Westfälische Hochschule Gelsenkirchen
Institut Arbeit und Technik
- Strategische Allianzen sind netzwerkartige Zusammenschlüsse, die ein gemeinsam handelndes Kollektiv bilden. Ziel einer solchen Strategischen Allianz ist die langfristige Förderung von Innovationsfähigkeit und Nachhaltigkeit aller Akteure bzw. der Region.
- Strategische Allianzen besitzen eine gemeinsame Problemsicht, eine Vision, ein Leitbild, Leitziele und vieles mehr. Sie zeichnen sich durch eine hierarchielose »laterale« Führung aus. Die Konstruktionsprinzipien werden in diesem Artikel übersichtsartig erläutert.
- Für die Prozesse innerhalb Strategischer Allianzen braucht es geeignete Instrumente. Diese werden im vorliegenden Artikel kurz und knapp vorgestellt.
Von Partizipativer Governance zu Strategischen Allianzen
Wie im vorangehenden Artikel über »Partizipative Governance« gezeigt, sind neue Governanceformen in den Wirtschaftsförderungsstrukturen von Städten notwendig, um den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen begegnen zu können. Um eine breite Beteiligung zu erreichen und genügend Geschwindigkeit für einen umfassenden Wandel – die große Transformation – aufzubauen, wurde das Konzept der »Strategischen Allianzen« entwickelt (Merten et al. 2015).
Strategische Allianzen – theoretische und konzeptionelle Grundlage
Der Ansatz der »Strategischen Allianzen« vor dem Hintergrund der nachhaltigen Entwicklung wurde in den Forschungsprojekten StratAll (Strategische Allianzen für nachhaltige Entwicklung – Innovationen in Unternehmen durch Kooperation mit NPOs) sowie ADMIRe A3 (Strategische Allianz für Demografiemanagement, Innovationsfähigkeit und Ressourceneffizienz am Beispiel der Region Augsburg) entwickelt. Zur Entwicklung des Ansatzes wurden einerseits die grundlegenden Strukturen und Ausprägungsformen von Netzwerken aus der Literatur extrahiert und angepasst sowie andererseits die Rahmenbedingungen und Erfolgsfaktoren erarbeitet. Für die Steuerung »Strategischer Allianzen« wurden mehrere Instrumente entwickelt wie bspw. Netzwerkverfassungen, Leitbildentwicklungen, Wissensmanagement, Stakeholderanalyse, Benchmarking, Prozessmanagement und mehr. Dieser Artikel thematisiert die Grundzüge, den Aufbau und Ablauf von Strategischen Allianzen, um den Lesenden einen Überblick des Ansatzes zu verschaffen.
Was ist eine Strategische Allianz?
Strategische Allianzen (STA) sind eine
spezielle Form von netzwerkartigem
Zusammenschluss, der darauf abzielt
ein gemeinsam handelndes Kollektiv zu
schaffen. Dieses »handlungsfähige Wir«
(Hafner & Miosga, 2015) soll die Innovationsfähigkeit
der lokal verbundenen
Akteure im Hinblick auf zentrale, langfristig
angelegte Nachhaltigkeits- und
Transitionsthemen stärken. Der Aspekt
der Langfristigkeit ist ein besonderes
Merkmal des Ansatzes »Strategische
Allianzen« und stellt eine Ergänzung zu
den etablierten Herangehensweisen
des Transitionsmanagements wie bspw.
Bottom-up-Konzepten (z.B. Transition
Towns) oder Top-down-Strategien (z.B.
Politik) dar. Im Gegensatz zu den graswurzelartigen
Bottom-up-Konzepten ist
eine STA stärker intentional und bereits
zu Beginn strukturierter. Im Vergleich
mit den Top-down-Ansätzen zeigt sich
die Stärke der STA: Durch ein Aktivieren
der regionalen Stakeholder und eine
gemeinsame Zielsetzung wird mehr
Beteiligung, mehr Commitment sowie
ein größerer Zusammenhalt geschaffen
(Engelmann, Merten, & Bowry, 2012).
Im Gegensatz zu den graswurzelartigen Bottom-up-Konzepten ist eine STA stärker intentional und bereits zu Beginn strukturierter.
Zum anderen unterscheidet sich der Ansatz auch gegenüber herkömmlichen Netzwerken einerseits durch sein stärker intentional ausgerichtetes Handeln und durch das Fehlen von Macht-Strukturen. Mehr dazu im folgenden Abschnitt. Strategische Allianzen sind auf der einen Seite selbst institutionelle Innovationen, da sie eine neue Kooperationsform darstellen und auf der anderen Seite wirken sie als Innovationskatalysator und können Innovationen aktiv managen, indem hierfür Instrumente eingeführt werden (Engelmann u. a., 2012).
Konstruktionsprinzipien und -elemente Strategischer Allianzen
Die Initiator / innen einer STA müssen zu Beginn eine gemeinsame Problemsicht entwickeln und die Herausforderungen, vor denen die Region steht und die gelöst werden sollen, klar benennen und verstehen.
Diese Vordenker / innen stellen dann fest, ob die Akteurslandschaft sowie die Kooperationskultur in der Region ausreichend vorhanden sind, um eine Strategische Allianz zu gründen. Dies geschieht mittels einer Datenerhebung, die strukturiert den Status quo erhebt. Von besonderer Relevanz für das Gelingen von STA ist dabei die Partnerwahl. Hier sind besonders die Schlüsselakteure der Region für das gemeinsame Vorhaben zu identifizieren und an Bord zu holen. Diese Schlüsselakteure sind unbedingt notwendig, um sicherzustellen, dass eine Struktur gebildet, die Allianz in der Region verankert und die Akzeptanz bei den regionalen Stakeholdern hergestellt werden kann (s. Artikel »Die Sprache der Akteure«).
Element einer jeden STA ist eine gemeinsame Problemsicht, aus der eine gemeinsame Vision und ein Leitbild erarbeitet wird.
STA verfügen über eine Netzwerkverfassung oder Allianzverfassung, welche die Grundsätze, Rechte und Pflichten der Zusammenarbeit innerhalb des Netzwerks einheitlich regelt. In der Verfassung werden auch Prinzipien wie Verbund- und Informationspflichten oder allgemeine Grundsätze zu Entscheidungsfindungen, Netzwerkzielen oder Verhaltensregeln festgelegt. Diese Verfassung muss nicht aus einem einzelnen Dokument bestehen, sondern kann sich bspw. aus Satzungen, einem Leitbild u. ä. zusammensetzen (Engelmann, Merten, Bowry, Witte, & Seipel, 2015).
Ein wesentliches Prinzip der STA ist die
laterale Führung. Dies bedeutet das
Fehlen von Weisungsbefugnissen und
Hierarchie, und meint eine kooperative,
durch das Einverständnis der Mitglieder
legitimierte, Führung. Hierfür sind neue
Lösungsfindungsinstrumente wie z. B.
Entscheidungsmethoden nötig, die weiter
unten erläutert werden (Engelmann u. a.,
2012).
Auch das Leitbild ist ein zentrales Strukturelement
von STA. Dieses beinhaltet
den gemeinsam erarbeiteten Rahmen
für die Zusammenarbeit der Akteure und
erhält dadurch einen besonderen Stellenwert.
Zugleich fördert ein gemeinsames
Leitbild das Commitment der Beteiligten.
Es legt den Sinn und Zweck der Allianz
fest, auf welche alle Akteure gemeinsam
hinarbeiten wollen. Es ist also eins der
wichtigsten Dokumente für die weitere
Arbeit und bietet eine wichtige Orientierungshilfe
(ebd.).
Ebenso wichtig für die Prozesse innerhalb der Allianzen sind Führungsleitlinien: Sie geben der Allianz eine formale Struktur und den Rahmen für das laterale Führen vor und bilden damit den Ordnungsrahmen für die Arbeit in der Allianz. Außerdem können Fragen von Haftung, Transparenz, Zusammensetzung und Festlegung von Führungsorganen in einem Rahmenwerk, dem sogenannten Governance-Kodex, festgehalten werden. Auch bei diesen Dokumenten ist es besonders wichtig, dass sie gemeinsam erarbeitet und von allen Akteuren mitgetragen werden. Nur so erreichen sie die Akzeptanz, die nötig ist, damit sich alle Beteiligten jederzeit auf dieses Regelwerk beziehen können (edb.).
Von zentraler Bedeutung für das zielgerichtete und wirksame Arbeiten in STA ist eine Form von Controlling oder Monitoring. Hierdurch wird einerseits die Zielerreichung kontrolliert und andererseits Transparenz hergestellt, die wiederum zur Entstehung von Vertrauen beitragen kann. Die für dieses Monitoring von den beteiligten Akteuren gemeinsam zu identifizierenden Indikatoren sind von kritischer Bedeutung, da im Kontext von Nachhaltigkeit oftmals neue Indikatoren erforderlich sind, die neben ökonomischen auch die soziale und ökologische Seite bedienen. Im Projekt »Bottrop 2018+« wurde daher ein Indikatoren-Set für nachhaltige und resiliente städtische Wirtschaftsstrukturen entwickelt (www.wirtschaftsstrukturen.de). Element einer jeden STA ist eine gemeinsame Problemsicht, aus der eine gemeinsame Vision und ein wie oben erläutertes Leitbild erarbeitet wird. Aus diesen lässt sich eine Strategie sowie operationale Ziele ableiten. Extrem verkürzt stellt dies die Grundlage für eine STA dar. Grafisch visualisiert in Abbildung 1. Wie die einzelnen Elemente erarbeitet werden, wird im weiteren Verlauf des Artikels anhand des Beispiels »Wirtschaftsallianz Bottrop« dargestellt.
STA ermöglichen aufgrund der Vielfalt der beteiligten Akteure und dem daraus entstehenden Austausch wechselseitiges Lernen zwischen Unternehmen, Politik, Verwaltung und den Bürger / innen.
Sinn und Zweck Strategischer Allianzen vor dem Hintergrund nachhaltiger Entwicklung
STA ermöglichen aufgrund der Vielfalt der beteiligten Akteure und dem daraus entstehenden Austausch wechselseitiges Lernen zwischen Unternehmen, Politik, Verwaltung und den Bürger / innen. Diese bereichsübergreifenden Kooperationen sind notwendig, um innovative Lösungen für gesellschaftliche Probleme, wie z. B. den Klimawandel, hervorzubringen. Strategische Allianzen sind natürlich nicht von sich aus nachhaltig. Es gilt nicht nur die Netzwerkaktivitäten richtig zu tun, damit eine Wirksamkeit entsteht, sondern es gilt ebenso, die richtigen Aktivitäten zu tun. Hierfür ist ein Mindestmaß an geteilten Nachhaltigkeitswerten und -visionen vonnöten (Engelmann u. a., 2012).
Konzeptionelles Vorgehen und Aufbau von STA
Aufbauend auf der vorgestellten Ausführungen wird im folgenden Abschnitt kurz skizziert wie die ersten Schritte beim Aufbau einer Strategischen Allianz ausgestaltet werden sollten.
Bereits im Vorfeld wurden für das Forschungsvorhaben
»Bottrop 2018+« wichtige
Themen für den Standort identifiziert
und die Wandlungsbereitschaft einzelner
Akteure ausgelotet (s. Stadt Bottrop zur
Sprache der Akteure). Ebenso wurde
vorab eine Struktur für die STA erarbeitet
und drei Handlungsfelder festgelegt:
- Hybride Formen des Einzel-, Fach- und Online-Handels,
- Kooperative und digitale Produktionsformen im Handwerk sowie
- Freizeitwirtschaft & Tourismus.
Diese Handlungsfelder haben einen direkten Bezug zu großen Teilen der Bottroper Wirtschaft und stellen nach den Voranalysen und -gesprächen sowie nach der Einschätzung der lokalen Experten aus Politik und Verwaltung lohnenswerte Betätigungsfelder dar. Gleichzeitig behandeln sie drängende Themen im Bereich Nachhaltigkeit und lokale Resilienz.
Aufbau & Struktur
Der Aufbau des Vorhabens in Bottrop setzte sich aus vier Strategischen Allianzen (STA) zusammen: Einer übergeordneten Plattform – der Wirtschaftsallianz, die als STA den strategischen Rahmen für eine nachhaltige und resiliente wirtschaftsstrukturelle Entwicklung bereitstellen sollte. Unter dieser Plattform angesiedelt waren die drei thematisch orientierten STA zu den oben genannten Handlungsfeldern. Diese sollten sich mit der Strategie zu ihrem jeweiligen Thema beschäftigen. An diese thematischen STA angegliedert waren die Umsetzungsprojekte – die sogenannten Reallabore (s. Beitrag »Reallabore«). Die Reallabore erhalten ihren
Handlungsauftrag von der jeweiligen thematischen STA. Dieser Projektaufbau ist in der Abbildung 2 dargestellt.
Aufbau der Strategischen Allianzen
Im Folgenden soll kurz das Vorgehen im
Projekt »Bottrop 2018+« skizziert werden.
Eine detaillierte Dokumentation finden
Sie im Arbeitspapier zu den Strategischen
Allianzen (siehe Literatur-Empfehlungen
am Ende des Artikels).
In Bottrop wurde die Wochenend-Klausur
durch ein etwas größeres Auftakttreffen
ersetzt, da die überschaubaren Strukturen
der Stadt als handhabbar angesehen
wurden. In diesem ersten Treffen wurde
der symbolische »Startschuss« für die
Wirtschaftsallianz gegeben. Die Motivation
und der Projektansatz wurden vorgestellt,
um anschließend in moderierten
Kleingruppen erste Ideen der Akteure
festzuhalten. Dabei ging es um die folgenden
vier Punkte:
- Herausforderungen sowie
- Visionen für den Wirtschaftsstandort
- Neue Formen der Zusammenarbeit (-> Governance-Modus)
- Möglichkeiten der Erfolgsmessung (-> Monitoring & Indikatoren)
Wenn niemand eine besondere Macht innerhalb der STA besitzt und eine demokratische Mehrheitsentscheidung
im Zweifel dazu führt, dass 49 % mit einer Entscheidung extrem unzufrieden sind, müssen andere Abstimmungswege gefunden werden.
Zu jedem Punkte waren bereits erste Inhalte im Vorfeld ausgefüllt worden, so dass nicht im luftleeren Raum diskutiert werden musste. Einige Rahmenpunkte waren durch das Forschungsprojekt bereits gesetzt, wie bspw. die Leitplanken Nachhaltigkeit und Resilienz.
In weiteren Treffen wurden andere Instrumente angewendet: So wurde gemeinsam mit den Akteuren eine SWOT-Analyse (Strength-Weaknesses- Opportunities-Threats / zu dt. Stärken, Schwächen, Chancen & Risiken) erstellt, die Wünsche zur Arbeitsweise festgehalten, Ideen für eine Vision und ein Leitbild gesammelt und gemeinsam eine Balanced-Scorecard gefüllt. Dabei wurde jedoch schnell von Seiten der Akteure angemerkt, dass diese gerne Input geben, aber sich nicht zu lange mit Details aufhalten wollen. Daher wurde die Finalisierung dieser Dokumente jeweils vom Projektteam übernommen.
Entscheidungsmethoden
Eine besondere Herausforderung in lateral geführten Netzwerken ist die Entscheidungsfindung. Wenn niemand eine besondere Macht innerhalb der STA besitzt und eine demokratische Mehrheitsentscheidung im Zweifel dazu führt, dass 49 % mit einer Entscheidung extrem unzufrieden sind, müssen andere Abstimmungswege gefunden werden. Diese wurden im Projekt »Bottrop 2018+« recherchiert, erprobt und in einer Dokumentation inklusive Praxis-Hinweisen festgehalten (siehe Literatur-Empfehlungen). Hier soll nur kurz auf eine Methode eingegangen werden, die sich als besonders wertvoll erwiesen hat.
Das »Systemische Konsensieren« ist eine Entscheidungsmethode für Gruppen, die nicht auf Konsens- oder Mehrheitsentscheidungen basiert, sondern die minimale Ablehnung in einer Gruppe herauskristallisieren möchte. Dadurch kommt das Abstimmungsergebnis einem Konsens in der Gruppe am nächsten („Partizipation: Systemisches Konsensieren«, o. J.). Konsensieren versteht sich als das Finden der größtmöglichen Übereinstimmung unter den Gruppenmitgliedern. Als systemisch wird der Prozess bezeichnet, weil er im Gruppensystem zu einem konstruktiven und kooperativen Verhalten aller Beteiligten führt und dabei unabhängig vom »guten Willen« oder anderen Personeneigenschaften ist. Es gibt verschiedenen Ausprägungen des Systemischen Konsensierens, die je
nach Situation und Fragestellung mehr
oder weniger geeignet sind. Die einfachste
Form, welche rasch und ohne große
Vorbereitung eingesetzt werden kann, ist
das Schnellkonsensieren. Es ist besonders
gut einsetzbar, wenn eine Auswahl
aus mehreren Optionen getroffen werden
muss. Der Grad des Widerstandes wird
dabei von den Teilnehmern mithilfe von
Handzeichen ausgedrückt, welche der
Moderator auszählt. Für jede Option wird
der persönliche Widerstand der Teilnehmenden
erfragt und mit Handzeichen
angezeigt, wobei keine Hand für »ich habe
keine Einwände«, eine Hand für »ich habe
leichte Bedenken« und zwei Hände für
»ich empfinde starken Widerstand« steht.
Die Option, die insgesamt von den Teilnehmenden
am wenigsten Widerstand
erfahren hat, d. h. bei der am wenigsten
Handzeichen ausgezählt wurden, wird
dann ausgewählt. Dieser Option wird
der geringste Widerstand in der Gruppe
entgegengebracht, mit anderen Worten,
die Auswahl dieser Option birgt das
kleinste Konfliktpotenzial. Zudem kommt
diese Option den Interessen der einzelnen
Gruppenmitglieder am nächsten,
drückt also die konsensnächste Entscheidung
aus. Dies macht das Systemische
Konsensieren für Entscheidungen in STA
besonders wertvoll.
Monitoring & Indikatoren
Wie oben dargelegt, ist eine Form von
Controlling der Zielerreichung für komplexe
Vorhaben wichtig. In der Projektlaufzeit
wurde daher ein eigenes Indikatoren-Set
(siehe Literaturverweise) für nachhaltige
und resiliente städtische Wirtschaftsstrukturen
entwickelt und eine Systematik für
dessen Anwendung erstellt. Als Arbeitsergebnis
gibt es ca. 30 Indikatoren, welche
in Bottrop erhoben wurden. Ergänzend
wurde eine Umfrage unter den Akteuren
der Wirtschaftsallianz durchgeführt, um
Wissenslücken zu schließen und eine
Datengrundlage für spätere Vergleiche zu
erzeugen. Bei den Indikatoren kommen
zwar einige bekannte Kennzahlen wie z. B.
die Erwerbstätigenquote, das BIP oder die
Arbeitslosenquote zur Anwendung, jedoch
sind andere Indikatoren deutlich innovativer.
So wurde bspw. der Branchenmix
erhoben – eine Kennzahl für die Konzentrierung
der Wirtschaft am Standort auf
einzelne Wirtschaftsbereiche. Diese Kennzahl
lässt Schlüsse über die Anfälligkeit der
Stadt gegenüber branchenweiten Krisen
zu. Auch wurden mehrere Indikatoren zum
Thema Gleichberechtigung erhoben wie
bspw. der Lohnabstand von Männern und
Frauen. Andere interessante Indikatoren
waren der Modal Split (die Verteilung der
Verkehrswege nach Wahl des Fortbewegungsmittels,
also bspw. zu Fuß, per ÖPNV
oder mit dem Auto), das Ausmaß der
Flächenversiegelung sowie die Anzahl der
Patentanmeldungen und Neugründungen.
In der anschließend durchgeführten
Umfrage wurden die Unternehmen dazu
befragt, wie ihr Engagement in Bereichen
wie Umweltmanagement, Gesundheitsförderung
oder Nachhaltiger Mobilität
ausgestaltet ist und was eventuelle
Hinderungsgründe sind, sich mit diesen
Themen zu beschäftigen. Aus diesen
Daten können neue Handlungsfelder in
der Wirtschaftsallianz abgeleitet werden
und es wird eine Datengrundlage für zukünftige
Vergleiche geschaffen.
Tools für Strategische Allianzen:
SWOT & Zukunftsplan
Exemplarisch sollen im Folgenden zwei
angewandte Instrumente vorgestellt und
ihr Nutzen deutlich gemacht werden.
SWOT-Analyse
Die SWOT-Analyse (Strengths, Weaknesses,
Opportunities, Threats) oder
Stärken-Schwächen-Analyse genannt,
stellt eine Methode zur Informationserfassung
und Situationsabschätzung dar.
Basierend auf der Auswertung relevanter
Information und subjektiver Einschätzung
setzt die SWOT-Analyse auf Argumentation
statt auf Zahlen (Wollny & Paul, 2015).
Die SWOT-Analyse dient an erster Stelle
zur Strukturierung relevanter Information,
um Entscheidungen zu treffen oder
Strategien zu entwickeln (Kotler, Berger &
Bickhoff, 2010). Zwei Ziele können durch
die SWOT-Analyse verfolgt werden: (1)
Bewertung einer Situation und (2) Entwicklung
von Handlungsempfehlungen
auf Basis der Bewertung (Wollny & Paul, 2015). Dabei werden zwei gleichwertige
Ebenen berücksichtigt: Auf der ersten
Ebene erfolgt eine Bewertung relevanter
interner Faktoren (Stärken / Schwächen)
für ein / e Unternehmen / Organisation
(z.B. interne Strukturen, Mechanismen
usw.). Auf der zweiten Ebene werden
markt- oder standortbezogene externe
Faktoren (Chancen / Risiken) identifiziert,
welche unternehmerisches Handeln,
Prozesse und / oder Lösungen (Produkte,
Dienstleistungen etc.) beeinflussen.
Voraussetzung für die Durchführung
einer SWOT-Analyse sind umfangreiches
Wissen und Information über den Gegenstand
(z.B. über den Einbindungsgrad
eines Amtes in lokale, regionale, nationale
oder europäische Governancestrukturen).
Um ein möglichst umfassendes, realitätsnahes
und valides Bild der Stärken
/ Schwächen sowie Chancen / Risiken
zu zeichnen, sollten relevante Informationen
aus unterschiedlichen Quellen (z.B.
Datenauswertung, Interviews, Befragungen
etc.) gesammelt werden. Ein solches
Vorgehen erfordert die Einbindung von
Expert / innen (wissenschaftliche oder lokale)
in der Vorbereitung und Durchführung
der Analyse, schließt aber die Beteiligung
weiterer relevanter Akteure nicht
aus. Genau hierin ist ein großer Mehrwert
der SWOT-Analyse zu sehen: sie kann
sowohl in kleinen Expertengruppen als
auch in großen Kreisen mit vielfältigen
Akteuren Anwendung finden. Sie ist somit
in besonderem Maße geeignet schnell
und einfach relevante Faktoren zeit- und
kostengünstig zu erfassen (ebd.).
Jedoch kann der deskriptive Charakter der
Methode auch als Schwäche betrachtet
werden, da die Ergebnisse weder eine
Priorisierung ermöglichen noch direkte
Handlungsstrategien liefern, sondern
interpretationsbedürftig sind, die den
Einsatz ergänzender Methoden erfordert
(Kotler, Berger & Bickhoff, 2010).
Im Projekt »Bottrop2018+« wurde die
SWOT-Analyse sowohl für die Bewertung
der Ausgangslage als auch für die
Strategieentwicklung angewandt. Ausgehend
von dem übergeordneten Ziel
des Projektes resiliente und nachhaltige
Wirtschaftsstrukturen am Standort zu
schaffen, wurde eine umfassende Bewertung
der Ausgangslage in Bottrop
durch Experteninterviews und sozioökonomische
Datenanalysen durchgeführt
(Welschhoff & Terstriep, 2018; Nordhause-
Janz, 2017). Auf Basis dieser Ergebnisse
wurde zunächst eine SWOT-Analyse des
Amtes für Wirtschaftsförderung und
Standortmanagement erarbeitet, die
einerseits die Stärken und Schwächen
des Amtes als bestehende Wirtschaftsförderungsstruktur
und andererseits
die wirtschaftsstrukturellen und beteiligungsbezogenen
Chancen und Risiken der
Stadt Bottrop beleuchtet. Ausgehend von
den Ergebnissen dieser ersten Analyse
wurden weitere SWOT-Analysen für die
Wirtschaftsallianz Bottrop (WiAll) und
»Strategischen Allianzen« (STA) – als
geplante neue Wirtschaftsförderungsstruktur
– unter Einbeziehung der Wirtschaftsakteure
am Standort durchgeführt.
Im Ergebnis konnten relevante Themen
und Faktoren, die für die Transition hin
zu nachhaltigen und resilienten Wirtschaftsstrukturen
zentral sind, identifiziert
sowie eine strategische Richtung für den
Standort und die zu entwickelnden Strukturen
erarbeitet werden. Eine detaillierte
Beschreibung der SWOT-Analyse und
der Ergebnisse sind in den Berichten zum
Projekt zu finden.
Balanced Scorecard
Das Konzept der Balanced Scorecard (BSC) eignet sich für Unternehmen / Organisationen jeder Branche und Größe, egal ob gewerblich oder gemeinnützig, um die Geschäftsstrategie zu steuern und zu bewerten (Rohm 2006, Kaplan 2002). Im Fokus der BSC stehen strategische Ziele sowie Ursache-Wirkungs-Beziehungen (Horváth & Partners 2007). Die Ausgewogenheit (»balanced«) des BSC-Ansatzes bezieht sich auf die Kombination von kurzund langfristigen Zielen, finanziellen und nicht-finanziellen Kennzahlen, Früh- und Spätindikatoren sowie externer und interner Perspektiven (Kaplan & Norton 1997).
Der BSC-Prozess kann in sechs Schritte unterteilt werden: (1) Mission bzw. Vision, (2) eine übergeordnete strategische Ebene, (3) operative Ziele, (4) die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, (5) Maßnahmen und Indikatoren, und (6) Initiativen und Projekte. Die Erarbeitung dieser Projekte beinhaltet einen Zeithorizont, Ressourcen und Aufgabenverteilung. Wobei der Durchgang dieser Schritte nicht linear verläuft, sondern viel mehr in kontinuierlicher Rückkopplung. Die Anwendung der BSC beinhaltet sowohl die Methoden als auch die Instrumente sie durchzuführen, die Kommunikation unter allen Beschäftigten der Organisation und die Evaluation und Anpassung des Prozesses (Terstriep, 2007). Der Mehrwert der BSC ergibt sich insbesondere auch aus der kontinuierlichen Selbstreflektion und Analyse. Sie ist insofern als langfristiger Prozess zu begreifen, in dem Verhaltensänderungen der Beteiligten genauso wichtig sind wie die unternehmerische / organisatorische Wertschöpfung und deren Messung.
Im Projekt Bottrop 2018+ wurde die BSC von der Logik einer Organisation auf einen gesamten Wirtschaftsstandort übertragen, um im Sinne einer partizipativen Wirtschaftsförderung mit den in der WiAll verbundenen Akteuren und dem Amt für Wirtschaftsförderung und Standortmanagement (AfWS) eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Der wesentliche Unterschied zu einer BSC innerhalb einer Organisation liegt in der Komplexität des Prozesses der wirtschaftsstrukturellen Entwicklung, der nicht zuletzt durch die hohe Anzahl der Beteiligten mit ihren variierenden Interessen und Logiken bestimmt wird (s. hierzu auch Engelmann, Merten & Bowry 2012). Die unterschiedlichen Mitwirkenden – in diesem Fall das Amt für Wirtschaftsförderung und Standortmangement (AfWS) Bottrop und die Wirtschaftsallianz (WiAll) – bringen in den Prozess unterschiedliches Hintergrundwissen, Perspektiven (unternehmerisch, politisch, kommunal etc.) und Zielvorstellungen ein. Bevor eine zukunftsorientierte Strategieentwicklung begonnen werden kann, sollte eine Erfassung des Status Quo auf beiden Seiten (AfWS und WiAll) erfolgen. Der Ablauf des Prozesses ist identisch mit der Durchführung in einer einzelnen Organisation. Der Prozess ist in Abbildung 3 exemplarisch am Beispiel Bottrop veranschaulicht.
Kritische Reflektion & Fazit
Zum Schluss soll der Ansatz und seine Umsetzung kritisch reflektiert sowie hilfreiche
Strategien für weitere Umsetzungen
des Ansatzes aufgezeigt werden:
Strategische Allianzen müssen – wie in
der Konzeption beschrieben – mit einem
hohen Maß an Strategie und sehr stark
zielorientiert betrieben werden, sonst
verliert der Ansatz seine Berechtigung.
Inhaltliche und strukturelle Leitplanken
müssen immer wieder hochgehalten
werden und dürfen sich nicht über die
Zeit langsam auflösen. Diese Härte und
Schärfe muss in Diskussionsprozessen
ausgehalten werden. Wenn die Motivation
für einen solchen komplexen
strukturellen und inhaltlichen Prozess
am Standort nicht ausreicht, muss in
letzter Konsequenz auch immer über Abbruchpunkte
des Vorhabens gesprochen
werden.
Der gesamte Prozess ist in Bottrop langsamer
verlaufen, als dies ursprünglich
geplant war. Aber Veränderung in dem
hier angestrebten Maß brauchen Zeit.
Die drei Jahre im Projekt können nur ein
Startschuss und ein »Einüben« der Vorgehensweisen
sein, da vieles auch in dieser
Zeit entwickelt und erstmals erprobt
wurde. Es kommt jetzt auf die Zeit nach
der wissenschaftlichen Begleitung an, ob
und in welcher Form die Wirtschaftsallianz
Ergebnisse für eine nachhaltige
und resiliente Wirtschaftsstruktur liefern
kann. Eventuell war die erarbeitete Vision
noch nicht kraftvoll genug, um alle Akteure
»unter einem Banner« zu vereinen.
Aus dieser Überlegung entstanden auch
die dezidierten Überlegungen zum Thema
»Visionen« in dieser Publikation (siehe
entsprechenden Artikel). Womöglich
wäre auch ein konzentrierter Auftakt in
Form eines Klausur-Wochenendes für
eine solche kraftvolle Vision nötig gewesen.
Wenn die Motivation für einen solchen komplexen strukturellen und inhaltlichen Prozess am Standort nicht ausreicht, muss in letzter Konsequenz auch immer über Abbruchpunkte des Vorhabens gesprochen werden.
Ein weiterer Kritikpunkt ist sicher, dass es wenige kleinere Erfolge gab und so eine Selbstwirksamkeitserfahrung der Akteure verhindert wurde. Hier kann angesetzt werden und bei der Projektkonzeption stärker darauf gedrungen werden, kleinere erfolgsversprechende Projekte über die gesamte Laufzeit zu verteilen, um so die Motivation der Teilnehmenden für die strukturellen Prozesse zu erhöhen.
Nichtsdestotrotz zeigt bereits die erste durchgeführte Umfrage in der Wirtschaftsallianz (siehe Webseite des Projekts) eine hohe Motivation und ein fundiertes Nachhaltigkeits-Verständnis. Die Instrumente und Handreichungen für andere Städte liegen damit vor und können in die Anwendung gebracht werden.
Literatur-Empfehlungen und Links zum Weiterlesen
- Engelmann, T., Merten, T. & Bowry, J. (2014). Strategische Allianzen als Instrument zum Management regionaler Transformationsprozesse. In: Miosga, M., & Hafner, S. (Hrsg.), Regionalentwicklung im Zeichen der Großen Transformation, Strategien für Ressourceneffizienz, demographischen Wandel und Innovationsfähigkeit (349 – 374). München: oekom verlag.
- Die Methoden, die hier vorgestellt wurden, sind ausführlicher in dem Arbeitspapier »Wirtschaftsallianz Bottrop: Vorgehensweise – Erkenntnisse – Ergebnisse (ein Zwischenfazit)« aus dem Projekt »Bottrop 2018+« dargelegt. Hier finden Sie auch weitere Hinweise für die Umsetzung in der Praxis. Diese Veröffentlichung sowie die Handlungsanleitung zu Strategischen Allianzen, dem entwickelten Monitoringinstrument und das Papier zu Entscheidungsmethoden für Strategische Allianzen aus diesem Projekt finden Sie unter https://www.wirtschaftsstrukturen.de/
- Rabadjieva, M., Seipel, N. & Terstriep, J. (2018). Partizipation durch Strategieentwicklung: Balanced Scorecard als Instrument der lokalen Wirtschaftsförderung. Internet-Dokument. Gelsenkirchen: Inst. Arbeit und Technik. Forschung Aktuell, Nr. 11/ 2018.
- Welschhoff, J. & Terstriep, J. (2018). Bericht zur Ausgangslage der Wirtschaftsförderung am Standort Bottrop. AP1.1 Bericht des Projekts »Bottrop 2018+ - Auf dem Weg zu einer nachhaltigen und resilienten Wirtschaftsstruktur.« Gelsenkirchen: 99 Strategische Allianzen als Mittel zur lokalen Wirtschaftstransformation Institut Arbeit und Technik.
- Welschhoff, J. & Terstriep, J. (2017): Wirtschaftsförderung neu denken. Partizipative Governance am Beispiel von Bottrop 2018+. IAT Forschung Aktuell, Nr. 07/2017.
Literatur
Engelmann, T., Merten, T., & Bowry, J. (2012). Strategische
Allianzen. Friedberg: Faktor 10 – Institut für
nachhaltiges Wirtschaften.
Engelmann, T., Merten, T., Bowry, J., Witte, D., &
Seipel, N. (2015). ADMIRe aufbauen und führen –
Strategische Allianzen zur regionalen Nachhaltigkeitstransformation.
Instrumentenset zur Führung,
Management und Steuerung strategischer
Allianzen für Demografiemanagement, Innovationsfähigkeit
und Ressourceneffizienz. [Paper].
Faktor 10 - Institut für nachhaltiges Wirtschaften
gemeinnützige GmbH.
Hafner, S. & Miosga, M. (2015). Regionale Nachhaltigkeitstransformation.
München: oekom.
Horváth & Partners (Hrsg.) (2007). Balanced Scorecard
umsetzen. 4. überarbeitete Auflage, Stuttgart:
Schäffer-Poeschel.
Kaplan, R. S. & Norton, D. P. (1996). Linking the
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Strategien erfolgreich umsetzen. Stuttgart:
Schäffer-Poeschel.
Kaplan, R. S. (2002). Balanced scorecard and nonprofit
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Harvard Business School Press, Boston, MA.
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Verlag Berlin Heidelberg. doi: 10.1007/978 –3642 –14544 –5.
Merten, T., Bowry, J., Engelmann, T., Hafner, S., Hehn, N., Migosa, M., … Witte, D. (2015). ADMIRe umsetzen – strategische Allianzen zur regionalen Nachhaltigkeitstransformation. Anleitung für strategische Allianzen mit den Schwerpunkten Demografiemanagement, Innovationsfähigkeit und Ressourceneffizienz. Friedberg; Bayreuth: Faktor 10 - Institut für nachhaltiges Wirtschaften gemeinnützige GmbH, Universität Bayreuth.
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Terstriep, J. (2007). Balanced Scorecard – Measuring
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»NICE – Networking ICT Clusters across Europe«,
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available: https://www.iat.eu/media/d99_blanced_scorecard_ostrava_final_v1.1.pdf
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