Urbane Produktion im Kontext nachhaltiger Stadtentwicklung
Kerstin Meyer, Sophia Schambelon, Sarah Wettig
Westfälische Hochschule Gelsenkirchen
Institut Arbeit und Technik
Produktionsbetriebe in der Stadt bieten Chancen
für eine nachhaltige Entwicklung im Sinne der
Stadt der kurzen Wege und der Kreislaufwirtschaft.
Besonders strukturschwache Gebiete
können durch die Ansiedlung kleinteiliger
Manufakturen Aufwertung erfahren.
Der Strukturwandel im Ruhrgebiet bricht
mit einer jahrhundertelangen Tradition –
denn Steinkohle wurde bereits seit dem
Mittelalter abgebaut. Der Wegfall der
Kohleindustrie führte im Ruhrgebiet zu
einer hohen Arbeitslosigkeit und einem
Verlust an Produktionsarbeitsplätzen, die
mit lediglich 19,9 % im Jahr 2016 (Statistik
Regionalverband Ruhr, 2019) unter dem
Durchschnitt Nordrhein-Westfalens von
25 % (IT.NRW, 2019) liegen. Das Ruhrgebiet
steht damit weiterhin vor der Herausforderung,
die Folgen des postindustriellen
Zeitalters [1] zu bewältigen. Dies zeigt
sich auch darin, dass die Armut zwischen
2007 und 2016 vor allem in den Großstädten
des Ruhrgebiets angewachsen ist
(Bertelsmann Stiftung, 2019).
Nach wie vor ist spürbar, dass die
wirtschaftliche Entwicklung des Ruhrgebiets
gegenüber der des Bundeslandes
Nordrhein-Westfalen hinterherhinkt
(Dahlbeck & Gärtner, 2019). Neben Beschäftigungsverlusten
spielt das Qualifikationsprofil
der BewohnerInnen bei der
Strukturpolitik eine maßgebliche Rolle.
Denn Beschäftigungs- und Flächenpotenzial
wird meist in den wissensintensiven
Dienstleistungen als Wachstumsfaktor
postindustrieller Städte gesehen (Pratt,
2018). Im Ruhrgebiet jedoch sind es vor
allem Produktionsfachkräfte und ArbeitnehmerInnen
im Bereich der Einfacharbeitsplätze,
die ihre Anstellung verloren.
Angesichts der historisch gewachsenen
Potenziale des Ruhrgebiets im Produktionssektor
stellt sich darum die Frage, wie
produzierendes Gewerbe in den Städten
erhalten und angesiedelt werden kann,
um die gewachsene Nutzungsmischung
zu schützen und neu zu gestalten – denn
Möglichkeiten und Expertise sind vorhanden.
Bei der Beantwortung kann sich das
Ruhrgebiet auf internationale Erfahrungen
stützen.
Entgegen der Annahme, wirtschaftliche
Chancen der Städte lägen vor allem im
wissensintensiven Dienstleistungsbereich,
zeigt sich im europäischen Städtevergleich,
dass sich der Produktionssektor
keineswegs überall verkleinert. Zwar sank
in London der Anteil des produzierenden
Gewerbes beispielsweise von 6,3 % auf
3,7 % zwischen 2007 und 2017, entwickelte
sich in Prag jedoch günstiger. 2007 lag
der Anteil der Produktionswirtschaft hier
bei 8,9 % und stieg im Jahr 2017 auf 10,7 %.
Die polnische Hauptstadt Warschau kann
sogar mit einem Anteil von 17,3 % im produzierenden
Gewerbe aufwarten (Brandt,
Gärtner & Meyer, 2018).
Produktion in der Stadt spielt für die Stadtentwicklung also nach wie vor eine tragende Rolle. Wie sie erhalten und neu gedacht werden kann, soll Thema dieses Beitrages sein. Zunächst wird der Begriff »Urbane Produktion« und die Bedeutung des Konzeptes für die städtische Entwicklung erläutert. Weiter wird diskutiert, inwiefern Urbane Produktion einen Beitrag zur Bewältigung des strukturellen Wandels leisten und die Städte und Stadtquartiere nachhaltiger, resilienter und zukunftsfähiger machen kann. Schließlich werden Handlungsempfehlungen zur Unterstützung Urbaner Produktion auf regionaler, städtischer und lokaler Ebene abgeleitet.
Urbane Produktion – der Begriff
Nach Brandt, Gärtner und Meyer (2017, S. 4) ist Urbane Produktion als »die Herstel- Abbildung 1: Produktion als Basis für Service und Dienstleistung (Quelle: Eigene Darstellung nach Brandt, Gärtner & Meyer, S. 6) lung und Bearbeitung materieller Güter in dicht besiedelten Gebieten« zu verstehen. Der Begriff »materiell« schließt dabei digitale Produktion aus, da die Ergebnisse (Film, Software etc.) nicht über eine haptische Materialität verfügen. Damit soll Produktion klarer vom Dienstleistungssektor abgegrenzt werden, der in Theorien zur postindustriellen Wissensgesellschaft als hauptsächlicher Wirtschaftsfaktor in Städten gesehen wird (siehe Touraine, 1969; Bell, 1973; Florida, 2002). Jedoch lassen sich fließende Grenzen zwischen den Sektoren beobachten, so zum Beispiel im Falle des 3D-Drucks, bei dem digitale und materielle Produktion miteinander verschränkt sind.
Der Argumentationslinie von Cohen und Zysman (1987) folgend, die der Produktion eine tragende Rolle bei der Wirtschaftsleistung zuschrieben, kann die Fertigung von Produkten als Grundlage eines Drei-Ebenen-Modells der Wertschöpfung betrachtet werden (Brandt, Gärtner & Meyer, 2017, siehe Abbildung 1). Materielle Produktion steht im Zentrum des Modells, da hierbei Rohstoffe in Waren umgewandelt werden (Produktionskern).
Die Waren werden – hier dargestellt im äußeren Ring – durch Service und Reparatur weiterverarbeitet und erhalten. Dieser Ring soll in vorliegender Definition ebenfalls als »Produktion« gelten, da auch hier Güter in ihrer Materialität bearbeitet werden.
Dienstleistungen wie Design, Verkauf sowie Forschung und Entwicklung sind zwar der Produktion nicht zugehörig, sind aber auf sie bezogen. Produktion, Service und Dienstleistung sind voneinander abhängig und bilden somit eine (lokale) Wertschöpfungskette (z.B. arbeiten BühnenbildnerInnen als ProduzentInnen im genuinen Dienstleistungssektor »Theater“). Wiederum ist die Industrie für Fachkräfte und Innovation auf Forschung, Entwicklung und (universitäre) Ausbildung angewiesen.
Im Vergleich zu »Produktion« ist »Urban«
ein schwer greifbarer Begriff, der aus
dem lateinischen übersetzt »zur Stadt
gehörend« (Brandt, Gärtner, & Meyer, 2017,
S. 2) bedeutet. Die vorliegende Definition
kommt vor allem in der Stadtforschung
im Bereich der Funktionsmischung zum
Tragen, weshalb »Urbane« Produktion
sich auf die Nähe von Betrieben zu anderen
Nutzungen wie Wohnen, Dienstleistung
und Erholung bezieht. Es handelt
sich dabei um Fabriken oder Manufakturen,
die in der Innenstadt oder in der
Nähe zu Wohnen angesiedelt sind, womit
»urban« im Kontrast zu Gewerbe- und
Industriegebieten und der Verdrängung
von Produktion an die Stadtränder steht
(Brandt et al., 2017).
Mit der Anerkennung der Gebietskategorie »Urbanes Gebiet« durch die Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU in 2017, entstand für StadtplanerInnen die Möglichkeit, der gestiegenen Wohnungsnachfrage nachzukommen und gleichzeitig eine stärkere Nutzungsdurchmischung zu etablieren. Dabei ist die neue Kategorie von dem im deutschen Recht anerkannten Mischgebiet (MI) zu unterscheiden. Das Mischgebiet ist charakterisiert durch eine Funktionsmischung von Wohnen und gewerblicher Nutzung, wobei letztere das Wohnumfeld nicht wesentlich stören darf (siehe §6 der BauNVO). Typischerweise wird es in Altstadtquartieren und Innenstadtrandgebieten angewandt, in denen sich historisch bedingt eine Mischnutzung entwickelt hat (Brandt et al., 2017).
Bei Urbane Gebiet (MU) dagegen ist eine höhere und dichtere Bebauung ebenso wie tagsüber eine höhere Lärmbelastung zulässig. Die Hauptunterschiede liegen somit in der Grundflächenzahl, der Geschossflächenzahl und der Lärm-Emissionsrichtwerte. Letzteres kann besonders für Produktionsbetriebe wie Manufakturen interessant sein, die aufgrund der Lautstärkebeschränkungen Schwierigkeiten haben, sich in Mischgebieten niederzulassen. Inwiefern sich der neue Gebietstyp auf Nutzungsmischung, Immobilienmarkt und Urbane Produktion auswirken wird, ist abzuwarten, denn er bietet die Möglichkeit Produktion in der Nähe von Wohnen zuzulassen, aber auch Wohnen in Gewerbegebiete zu integrieren, was die Verdrängung von Betrieben sogar noch befeuern könnte (ebd.).
Arten Urbaner Produktion
Aus dem Begriffsverständnis geht hervor, dass Urbane Produktion eine komplexe Form der städtischen Produktion darstellt. Drei Unterkategorien sind dabei zu unterscheiden: Urbane Industrie, Urbane Landwirtschaft und Urbane Manufakturen. Die Unterschiede liegen vor allem in ihrer Entfaltung im baulichen und sozialen Raum, in den neuen Bedingungen, die sie an den Raum stellen und in der Art und Weise wie sie das Stadtgebiet prägen.
Urbane Industrie
In die Kategorie »Urbane Industrie« sind Fabriken einzuordnen, deren Produktionsstandorte in städtischem Gebiet angesiedelt sind und die Waren arbeitsteilig in großer Stückzahl maschinell herstellen. Dabei kann es sich um Traditionsunternehmen handeln, die bereits seit mehreren Jahrzehnten im urbanen Umfeld verankert sind, dies ist zum Beispiel bei vielen Brauereien der Fall (vgl. Brandt, Gärtner & Meyer, 2017). Dank neuer Technologien und architektonischen Innovationen ist es heute auch für solche Betriebe möglich zurück in die Stadt zu kehren, die sich vormals auf der »grünen Wiese« außerhalb der Ballungsräume niederließen. So konnte der österreichische Süßwarenhersteller Manner seine Fabrik im Wiener Viertel Ottakring eröffnen, indem die Produktion vertikal in einer Stockwerkfabrik angeordnet wurde, um so platzsparend von oben nach unten zu produzieren. Gründe für eine Umsiedlung in die Stadt können unter anderem die Attraktivität des urbanen Standortes im Wettbewerb um qualifiziertes Personal, Imageverbesserung sowie effektive Energiekonzepte, beispielsweise für Abwärme, sein (Brandt et al., 2017). So gibt auch die Brauerei Ottakringer in Wien Ottakring die Abwärme ans Fernwärmenetz ab und nutzt ihre Fläche vermehrt für Events, um das Image des Produktionsstandorts zu stärken.
Zumeist können Stadtfabriken lediglich zur Nutzungsmischung auf Quartiersebene beitragen. Eine kleinteilige Durchmischung, bei der mehrere Funktionen im selben Gebäude untergebracht sind, kann aus Platzgründen eher durch klein- und mittelständische Manufakturen erreicht werden. Jedoch finden sich eine Reihe urbaner Fabriken, deren Unternehmenskonzept es ist, nicht nur zu produzieren, sondern vor Ort Gastronomie und Führungen anzubieten, so zum Beispiel die Hafenkäserei in Münster, die sich in ihrem Internetauftritt als »Schaukäserei« bezeichnet (Hafenkäserei Münster, 2019).
Urbane Manufaktur
Im Gegensatz zur Urbanen Industrie handelt es sich bei Urbanen Manufakturen um städtische Kleinunternehmen, die Einzelstücke oder Produktserien in geringer Stückzahl herstellen oder Reparaturen durchführen (Brandt, Gärtner & Meyer 2019). Da diese Form der Produktion weniger Platz beansprucht, bietet sie Chancen für eine kleinteilige Durchmischung im Gebäudebestand eines Stadtquartieres, zum Beispiel durch die Ansiedlung von Manufakturen in Ladenlokalen.
Durch die sich wandelnden Prioritäten der KonsumentInnen hin zu individuellen Designerstücken und nachhaltiger, reparierbarer und regionaler Ware von guter Qualität, erfahren Manufakturen derzeit eine Renaissance (Zukunftsinstitut 2019). Durch ihre Nähe zur Kundschaft und einem meist gut verzweigten lokalen Unternehmensnetzwerk können sie schnell auf Bedarfe und Trends reagieren und sich durch lokal entwickelte Wertschöpfungsketten gegenseitig unterstützen (Mistry & Byron, 2011).
Abhängig von Produkten und Entrepreneurstyp können mehrere Manufakturstypen unterschieden werden. Brandt et al. (2017) beschreiben sechs gängige Betriebsformen der Manufakturen, die als Beobachtungswerkzeug aktueller Trends zu verstehen sind. Der »klassische« Handwerksbetrieb zeichnet sich durch die meist kundenspezifische Produktion von Einzelstücken und kleinen Produktserien aus, die durch analoge Fertigungsverfahren hergestellt werden. Dagegen werden im Techbetrieb digitale Techniken wie 3D-Druck und Lasercut verwendet. Eine weitere Differenzierung treffen die AutorInnen mit dem Lebensmittelbetrieb, in dem Nahrungsmittel in kleineren Mengen weiterverarbeitet und vertrieben werden.
Zusätzlich werden MigrantInnen als Ethnopreneure bezeichnet, die ein Kleinunternehmen gründen oder betreiben. Diese Form der Manufaktur ist besonders interessant, da der Anteil der migrantischen Gründungen in den letzten Jahren gestiegen ist und einen selbstwirksamen Zugang für MigrantInnen zum Arbeitsmarkt darstellen kann (Läpple, 2016). Sozial- und Ökopreneure machen sich aus gesellschaftlicher Motivation heraus selbstständig und gründen beispielsweise Unternehmen, die einem gemeinwohlorientierten Zweck dienen z. B. Behindertenwerkstätten oder Upcycling-Manufakturen. Homepreneure zeichnen sich dadurch aus, dass sie Produkte zu Hause herstellen und diese über das Internet, Gemeinschaftsläden oder auf lokalen Märkten und Messen vertreiben. Hier sind die Grenzen zwischen Hobby und Beruf häufig fließend.
Urbane Produktion wird als »die Herstellung und Bearbeitung materieller Güter in dicht besiedelten Gebieten« verstanden.
Urbane Landwirtschaft
Urbane Landwirtschaft bezeichnet »professionelle landwirtschaftliche und gartenbauliche Aktivitäten in städtischen (urbanen) Ballungsgebieten und deren unmittelbarer Umgebung« (Brandt, Gärtner & Meyer 2017, S. 9). Der Anbau ist dabei marktorientiert und umfasst keine selbstversorgenden Tätigkeiten, wie Kleingärten oder Urban-Gardening-Initiativen (Brandt et al., 2017). Insbesondere durch die steigende Nachfrage nach regionalen Nahrungsmitteln, kurzen Transportwegen und nachhaltigen Produktionsweisen gewinnen städtische Lebensmittel durch ihre Nähe zur Kundschaft weiter an Bedeutung.
Die Produkte und Herstellungsweisen Urbaner Landwirtschaft können dabei vielfältig sein. Denkbar sind Tierhaltung wie städtische Imkereien, Geflügelhaltung und Fischkulturen, (vertikaler) Obst- und Gemüseanbau an Fassaden oder in ehemaligen Bunkern und neue Produktionsweisen wie Aquaponik oder Algenkulturen. Das Konzept der selbst tragenden Urbanen Landwirtschaft steckt bisher noch in Kinderschuhen, dennoch gibt es einige erfolgreiche Beispiele, wie z. B. die Pilzzucht Hut & Stiel aus Wien (Hut & Stiel, 2019), sowie in größerem Stil die ECF-Farm in Berlin (ECF FARM BERLIN, 2019).
Alle drei Kategorien sind heutzutage im städtischen Raum zu finden. Inwiefern sich die Produktionsarten in der Stadt etablieren, hängt stark von den lokalen Bedingungen und wirtschaftlichen Gegebenheiten ab. Urbane Produktion bietet aber in all ihrer Form eine Reihe Potenziale für die Stadtentwicklung.
Potenziale Urbaner Produktion
Nach der schmutzigen Industrialisierung der Städte wurde Mitte des 20. Jahrhunderts eine Auslagerung der Fabriken an die Ränder der Stadt proklamiert. Avantgardistische StadtplanerInnen und ArchitektenInnen forderten 1933 in der Charta von Athen eine strikte Funktionstrennung von Arbeiten, Wohnen, Freizeit und Verkehr, wodurch sie sich eine sauberere und gesunde Wohnumwelt erhofften. Die gut gemeinte Vision führte aber siebzig Jahre danach zu starker Verkehrsbelastung durch Pendlerbewegungen, Flächenfraß durch die Bebauung »grüner Wiesen« und Verödung von Stadtquartieren (Spektrum, 2001). Eine Revision dieses Denkmodells wurde 2007 in der Charta von Leipzig von den EU-Mitgliedstaaten verabschiedet. Die neue Vision stellt das Leitbild einer kompakten, funktionsgemischten Stadt dar, in der die Daseinsfunktionen Arbeiten, Wohnen, Versorgung, Freizeit und Bildung miteinander in den Stadtquartieren vorhanden sein sollen. Weiter plädierten die EU-Mitgliedstaaten für eine Stabilisierung der lokalen Wirtschaft insbesondere in strukturschwachen Stadtquartieren durch die Stärkung endogener Potenziale und Förderung von Existenzgründungen (BMBU, 2007).
Weitere Herausforderungen stehen dieser
Vision aber im Wege. Waren es früher die
StadtentwicklerInnen, die die Produktion
aus den besiedelten Gebieten verbannten,
sind es heute Marktmechanismen. Im
Zuge der Verstädterungswelle sehen sich
vor allem wachsende Großstädte mit dem
Problem des Flächendrucks konfrontiert.
Drängen mehr Menschen in die Stadt,
wird mehr Wohnraum nachgefragt, wodurch
sich die Renditen für Wohnnutzung
erhöhen. Kleinere Produktionsbetriebe,
aber auch Firmen, können die steigenden
Flächenkosten nicht mehr aufbringen,
geben auf oder ziehen aus der Stadt.
Des Weiteren gibt es zahlreiche Fälle, in
denen Anrainer, die nicht selten durch
Neubaugebiete in die Nachbarschaft von
Produktionsbetrieben rückten, sich wegen
Nutzungskonflikten gerichtlich gegen
letztere durchsetzen (Brandt et al., 2017).
Neben der Verdrängung aus der Stadt stehen Betriebe auch wegen der globalen Arbeitsteilung unter Druck.
In der postindustriellen Stadt, die auf Dienstleistungen und Kreativbranchen setzt, wird eine Chance auf Wertschöpfung jenseits von Produktion gesehen.
Kostengünstigere Produktion treibt viele Firmen ins Ausland oder als Konkurrenz in den Ruin, wodurch Produktionsarbeitsplätze vor Ort verloren gehen. Als Konsequenz wird in der postindustriellen Stadt, die auf Dienstleistung und Kreativbranchen setzt, eine Chance auf Wertschöpfung jenseits von Produktion gesehen, so z. B. in Richard Floridas Konzept der Creative City (Läpple, 2016, vgl. Florida, 2002). In der Veröffentlichung »The New Urban Crisis« (2017) hat Florida jedoch anerkannt, dass eine Konzentration auf Wissens- und Dienstleistungsbranchen zu Gentrifizierung und wachsender Ungleichheit in den Städten führt. Läpple (2016) sieht in der Urbanen Produktion die Chance, (Einfach-)Arbeitsplätze in den Städten zu erhalten und wieder zu erschaffen, um der Segregation entgegenzuwirken und die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft zu steigern. Dies ist besonders durch die neuen Trends, die Möglichkeiten für Nutzungsmischung und lokale Wertschöpfung, sowie durch die Aufwertung der Quartiere zu sehen.
Neue Trends – Neue Wege
»Manufacturing will not so much ›return‘, then, as be reinvented«, prognostizieren Van Agtmael und Bakker (zitiert nach Läpple, 2016, S. 28). Wie kann also die städtische Produktion von morgen aussehen?
Wie in der Charta von Leipzig beschrieben, ermöglicht eine nutzungsgemischte Siedlungsstruktur nachhaltiges Leben in den Quartieren durch kurze Wege und Nahversorgung vor Ort. Diese Vision ist nicht nur eine stadtplanerische Wunschvorstellung, sie wird von einigen parallel verlaufenden gesellschaftlichen Trends mitgetragen. Im Zuge der Nachhaltigkeitsbewegung und nach zahlreichen Skandalen um Arbeitsbedingungen und Umweltschäden in Billiglohnländern steigt die Nachfrage nach lokalen Produkten, die umwelt- und sozialverträglich hergestellt werden. Die KonsumentInnen möchten wissen, wie, durch wen und aus welchem Material die Waren produziert wurden (Burmeister & Rodenhäuser, 2016). Wie oben ausgeführt, kann von einer Renaissance des Handwerks gesprochen werden, die eine Rückbesinnung auf Qualität, Reparierbarkeit und lokaler Wertschöpfung verspricht. Durch die Individualisierung steigt die Nachfrage nach speziell angefertigten Produkten, deren Produzenten wiederum von der Nähe zur Kundschaft profitieren können (Läpple, 2016).
Weiter bieten neue Technologien und die Digitalisierung immense Potenziale für die Produktion in der Stadt. Neue Fertigungsverfahren, intelligente architektonische Lösungen z. B. zum Emissionsschutz, wie die Einhausung der An- und Ablieferung (Biespielbetrieb Wittenstein bastian GmbH) oder Stockwerkfabriken (Beispielbetrieb Manner) können konfliktarme und umfeldverträgliche Produktionsprozesse ermöglichen. Doch nicht nur Nutzungskonflikte können durch Technologien vermieden werden: Durch Abbildung 3: Globale Produktions- und Konsumkette (Quelle: Diez Ladera 2016) intelligente Stromnetze und Energiekonzepte vor Ort, können ressourcenschonende Symbiosen von Stadtquartieren und Fabriken entstehen.
Eine vielversprechende Entwicklung bieten digital gesteuerte Produktionsverfahren wie Lasercut und vor allem der 3D-Druck. Sie gestatten eine kleinteilige und emissionsarme Herstellung von individualisierten Produkten, die dezentral im Stadtgebiet und geringem Raumanspruch stattfinden kann. In vielen Städten gibt es bereits offene Werkstätten in denen jene digital gesteuerten Maschinen der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Diese sind z. T. durch Fördergelder und öffentliche Mittel finanziert (Bsp. Haus der Eigenarbeit München, Werkraum Augsburg, Schokofabrik Berlin, Urbanistenmanufaktur Dortmund). Im Rahmen der Do-it-Yourself-Bewegung sind diese nicht nur individualisierte Produktionsorte, sondern auch Weiterbildungszentren und Innovationstätten (Brandt et al., 2017). In diesem Kontext gewinnen durch die Commons-Bewegung (Ostrom, 1990) auch Sharingkonzepte weiter an Bedeutung. In FabLabs werden Maschinen geteilt, aber auch Informationen und Fertigkeiten. Das Credo ist nicht mehr Konkurrenz und Wettbewerbsvorteil, sondern Kooperation und Wissensaustausch – vor Ort oder weltweit im Internet. Treiber sind hierbei vor allem Forschungseinrichtungen und Universitäten (Bsp. Dezentrale Dortmund, Halle 1 Gelsenkirchen).
Zukunftsvision: Nutzungsmischung und lokale Wertschöpfung
Weltweit zieht es immer mehr Menschen in die Stadt. 2050 sollen nach UN-Prognosen über 80 % der Weltbevölkerung in Städten leben (UN / DESA, 2014). Zudem wird erwartet, dass die Menschheit bis zu diesem Jahr auf knapp 10 Millionen Individuen gewachsen ist – Tendenz steigend (UN / DESA, 2015). In Anbetracht von knapper werdenden Ressourcen und Umweltproblemen wie Klimawandel und Plastikabfällen in Weltmeeren und Böden stellt sich die Menschheit selbst vor tiefgreifende Herausforderungen, die ein Umdenken verlangen. Es ergibt sich die Frage, wie dicht besiedelte und dennoch zukunftsfähige Städte gestaltet werden können.
Wie zuvor beschrieben ist die Produktion ein wesentlicher Bestandteil der global oder lokal verorteten Wertschöpfungskette. Viele Dienstleistungen basieren auf ihr (Vertrieb, Verkauf, etc.) oder sind mit ihr verwoben (Ausstattung, IT-Hardware, etc.). Durch die beschleunigte Globalisierung und die weltweite Produktzyklen-Verkettung haben sich soziale und ökologische Probleme aufgrund beschränkter Ressourcenvorkommen sowie eine Ungleichverteilung von Abfall herauskristallisiert. Für die besser situierten Länder der westlichen Hemisphäre gilt derzeit das Prinzip »Product in – Trash out“[2](siehe Abbildung 3).
Um diesen Trend entgegenzuwirken haben sich vielen Städte weltweit der Fab City Initiative[3] angeschlossen und sich zum Ziel gesetzt, bis 2054 zu eine 50 % selbst-suffiziente lokale Wirtschaft zu entwickeln. Die Idee dabei ist, Materialien vor Ort in eine Kreislaufwirtschaft einzuführen, wobei Müll als Ressource gesehen wird, deren Bestandteile in neuen Produkten verarbeitet werden können, anstelle ihn zu verbrennen oder anderweitig zu entsorgen. Weiter soll der Bedarf der Bevölkerung möglichst durch lokale Waren gestillt werden, um so lange Lieferwege zu vermeiden und vor Ort Wertschöpfung zu generieren. Lokale Wirtschaft in diesem Sinne bedeutet aber keinesfalls eine Abschottung vom Weltmarkt durch protektionistisches Handeln. Vielmehr soll der Datenverkehr, Innovationen und Ideen explizit global geteilt werden, um so kollektiv – im Sinne des »Open Source“-Gedankens – für eine »humane and habitable new world« (Diez Ladera 2016, o. S.) zu arbeiten (siehe Abbildung 4).
Hierbei kann Urbane Produktion eine zentrale Rolle spielen. Nicht nur können durch sie Erzeugnisse vor Ort hergestellt werden, Betriebe können auch direkt von den Ressourcen in der Stadt profitieren, namentlich von der immensen Menge an Abfall, die in dicht besiedelten Gebieten anfällt und durch Re- und Upcyling zu neuen Waren umgearbeitet werden kann. Hierbei bietet sich die Möglichkeit die Nachfrage nach neuen lokalen Materialen und Produkten zu befriedigen, die im Sinne von Cradle2Cradle einfacher wiederverwertet werden können. Durch die Stärkung einer solchen Kreislaufwirtschaft werden Anreize geschaffen, technische und soziale Innovationen in diesem Bereich zu entwickeln.
Gerade in strukturschwachen städtischen Gebieten können sich durch eine solche Kreislaufökonomie neue Potenziale auftun. Während eine hohe Arbeitslosigkeit und Leerstand auf den ersten Blick als Negativum gelten, können sie aus einer anderen Perspektive als Chance für neue Entwicklungen gesehen werden. Niedrige Flächenpreise und Leerstand in guten Lagen bieten Neugründungen und kleinen Manufakturen die Möglichkeit, sich risikoarm anzusiedeln und so kleinteilige Wirtschaftsstrukturen aufzubauen. Aufgrund der Arbeitslosenzahlen gibt es dort zudem eine kritische Masse an potenziellen ArbeitnehmerInnen, die für urbane Produktionsbetriebe zur Verfügung stehen oder sich selbstständig machen können (Brandt et al., 2017).
In Städten können sich auch Vorteile für Betriebe entfalten: Zum einen leben dort, wie bereits erwähnt, eine große Anzahl potenzieller Fachkräfte, zum anderen bietet der urbane Raum Verknüpfungen und Berührungspunkte mit anderen Branchen und Funktionen, in denen Wissen und Innovation weitergegeben und entwickelt werden, wodurch sich Netzwerke und Cluster bilden können. Läpple spricht dabei von einem »Zufallsgenerator von Wissen« (2004, S. 71), in dem insbesondere klein- und mittelständische Unternehmen von der Nutzungsmischung in der Stadt und der damit verbundenen Nähe zur Kundschaft und anderen Branchen profitieren können.
Von Aufwertung und Gentrifizierung
Insbesondere kleine Manufakturen, die sich aufgrund der günstigen Mieten in leerstehenden Ladenlokalen ansiedeln, können ein strukturschwaches Stadtquartier aufwerten. Ein Beispiel hierfür ist der Wuppertaler Ölberg: Nachdem das Viertel Anfang der 2000er Jahre mit einer abnehmenden Einzelhandelsstruktur, Leerstand und Verlust an Lebensqualität zu kämpfen hatte, fanden sich engagierte AnwohnerInnen und UnternehmerInnen in einem Verein zusammen, um dem Viertel ein positives Image zu verleihen. Gleichzeitig siedelten sich kleine Manufakturen an, die sowohl von den günstigen Mieten, wie auch vom positiven Marketing profitierten und so ein Cluster bilden konnten. Durch die Manufakturen, die in den Ladenlokalen produzieren und verkaufen, konnte das Viertel wiederbelebt und die Abwärtsspirale durchbrochen werden.
Das Quartier profitiert nun von einer
Aufwertung, jedoch bietet diese wiederum
die Gefahr von steigenden Mieten,
sodass sich die Produktionsbetriebe und
AnwohnerInnen diese nicht mehr leisten
können. Um dieser »Aufwärtsspirale«
vorzubeugen, hat sich in Wuppertal die
Genossenschaft Ölberg eG gegründet, die
Immobilien aufkauft, um die derzeitige
Klientel zu halten (Brandt et al., 2017). Für
jene Betriebe jedoch, die in einer Immobilie
ansässig sind, die den Marktschwankungen
unterliegt, stellt sich folgende
Frage: Wenn Urbane Manufakturen,
ähnlich der Kreativwirtschaft, Stadtteile
aufwerten und lebenswerter machen,
schaffen sie sich dann durch steigende
Immobilienpreise selbst ab? Wenn ja,
was können städtische Akteure tun, um
dies zu verhindern? Wie können Politik,
Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaf
Urbane Produktion stärken, um ihre
Potenziale für die lokale Entwicklung zu
entfalten?
Gerade in strukturschwachen städtischen Gebieten können sich durch eine solche Kreislaufökonomie neue Potenziale auftun.
Unterstützungsmaßnahmen für Urbane Produktion
Urbane Produzenten werden heutzutage
insbesondere durch den Flächendruck
des Wohnungsmarktes und aufgrund
von Konflikten mit AnrainerInnen aus
den mischgenutzten Gebieten verdrängt.
Weiter fehlen vielen Betrieben
NachfolgerInnen und Fachkräfte oder sie
leiden unter preisgünstigerer Konkurrenz.
Produktionsbetriebe bestreiten jedoch
eine wichtige Funktion für Stadtgebiete.
Sie bieten Arbeitsplätze jenseits von
Dienstleistungs- und Kreativwirtschaft,
bieten Integrationspotenzial durch Einfacharbeitsplätze
und wirken so gegen
die zunehmende Polarisierung zwischen
Arm und Reich. Sie sind ein tragender
Bestandteil der lokalen Wertschöpfung
– beispielsweise werden bauhandwerkliche
Betriebe wie Zimmereien, Malerbetriebe
und Klempnereien in jeder Stadt
gebraucht. Des Weiteren kann Urbane
Produktion zur nachhaltigen Stadtentwicklung
im Sinne der Stadt der kurzen
Wege beitragen, die sich durch benachbartes
Arbeiten, Wohnen und Versorgen
auszeichnet.
Wie können also Städte ihren Produktionssektor schützen, ausbauen und revitalisieren? Für die Stabilisierung der Urbanen Produktion gibt es keine Blaupause. Jede Stadt ist unterschiedlich, hat andere Ziele und Voraussetzungen. Eine wesentliche Unterscheidung der Zielsetzung besteht darin, ob Betriebe vor Verdrängung durch Platzmangel geschützt oder ob sie zur Revitalisierung in strukturschwachen Gebieten angesiedelt werden sollen.
Schonlau, Meyer und Lindner (2019)
haben verschiedene Werkzeuge beschrieben,
um Urbane Produktion zu stärken,
die vor allem durch die Stadtpolitik und
-verwaltung, aber auch durch zivilgesellschaftliche
Akteure, Wirtschaft und Wissenschaft
angewandt werden können. Sie
teilen die Maßnahmen in vier Raum-Ebenen
ein: die überregionale Metaebene, die
städtische Makroebene, die Mesoebene
im Stadtquartier sowie die einzelnen
Immobilien auf der Mikroebene. Im Folgenden
sind Handlungsempfehlungen auf
diesen Ebenen abgeleitet.
Überregionale Metaebene
Auf der überregionalen Ebene ist es wünschenswert, die Wahrnehmung von Urbaner Produktion zu verbessern, denn in Politik, Zivilgesellschaft und bei städtischen Akteuren ist noch wenig Bewusstsein zur Relevanz der Thematik vorhanden. Dies resultiert teils in geringem Engagement seitens der Stadt und wenig Akzeptanz seitens der Zivilgesellschaft für den Sektor. Hierfür können Vorträge von wissenschaftlichen Akteuren, Förderprogramme z. B. durch Bund und Land, Gründungswettbewerbe, Kampagnen und Handwerksmessen z. B. durch die HWK und IHK dienen. Zudem muss das bundesweite Planungsrecht den Schutz und die Unterstützung der Produktionsunternehmen ermöglichen, so z. B. durch produktionsfreundliche Gebietskategorien oder andere rechtliche Werkzeuge, da hierfür bisher wenig bindende Handhabe für StadtplanerInnen besteht.
Städtische Makroebene
Zu empfehlen ist weiter eine gesamtstädtische
Strategie über die Ressortgrenzen
hinweg und ein Bekenntnis von Seiten
der Politik und Stadtverwaltung. In einer
solchen Strategie sollten insbesondere
Stadtplanung und Wirtschaftsentwicklung
in Kooperation, aber auch die lokale Wirtschaft
und Zivilgesellschaft mit eingebunden
werden. Ein positives Beispiel hierfür
ist das »Fachkonzept Produktive Stadt«
der Stadt Wien. Darin ist die Förderung
Urbaner Produktion in die formale Planung
integriert. Neben produktionsfreundlichen
Betriebszonentypen, die planerisch über
die ganze Stadt verteilt sind, zeichnet sich
das Konzept vor allem durch bauplatzübergreifende
Finanzierungskonzepte zur
Querfinanzierung günstiger Produktionsflächen
in den Vergaberichtlinien aus. So
schafft es die Stadt auch bei neuen Projektentwicklungen
Produktion zu sichern
und Nutzungsmischung, zum Beispiel in
Verbindung mit Wohnen, zu etablieren.
Gerade in von Leerstand betroffenen Gebieten, aber auch in Städten mit Flächendruck ist des Weiteren ein zentrales Leerstandsmanagement sinnvoll. Dabei sollten diese von städtischer Seite erhoben und vermittelt werden, um so passende Flächen für Betriebe zu finden, die sich neugründen oder erweitern wollen. Zudem kann die Stadt durch eine solche Vermittlung sinnhaft Clusterbildung und Nutzungsmischung mitgestalten.
Mesoebene – das Quartier
Auf Quartiersebene kann vor allem die
Zivilgesellschaft eingebunden werden.
Unternehmenszusammenschlüsse (z.B. in
Genossenschaften) und Werbegemeinschaften
helfen ansässigen Unternehmen,
Netzwerke zu bilden und ihrem Standort
das gewünschte Image nach außen und
innen zu geben. Bei Stadtteilfesten können
BürgerInnen mit den Betrieben und
Organisationen vor Ort zusammenkommen,
um so von der gestärkten Identifikation
zu profitieren und sich gegenseitig
zu unterstützen. Die Stadt kann beitragen
indem Stadtteilagenturen Flächen- und
Leerstandsmanagement für das Quartier
betreiben und die endogenen Potenziale
vor Ort verstehen und aktivieren.
Mikroebene – die Immobilie
Auf der Mikorebene handelt es sich um
die konkrete Immobilie, die Produzenten
beherbergt oder in derer sich solche ansiedeln
sollen. Diese Betrachtungsebene
steht in einem besonderen Spannungsverhältnis,
da es sich hierbei zumeist
nicht um städtisches, sondern um privates
Eigentum handelt und die öffentliche
Hand an dieser Stelle an ihre Grenzen
stößt. Nichtsdestoweniger kann die Stadt
auch hier agieren – vor allem über Verhandlung
und Kooperation. Darum ist es
wichtig die EigentümerInnen mit einzubeziehen
und sie z. B. bei Leerstand zu
Zwischennutzungen zu bewegen. Diese
bieten GründerInnen die Chance, ihre
Konzepte zu testen und gegebenenfalls
in einer Verstetigung zu münden.
Weiter können Inkubationsräume für
Urbane Produktion geschaffen werden,
so vor allem offene Werkstätten und
FabLabs oder Verleih-Orte ähnlich der
Bibliotheken, in denen Werkzeuge und
andere Gegenstände den KleinstproduzentInnen
zur Verfügung gestellt werden,
die sich so ausprobieren und gegebenenfalls
professionalisieren können.
Fazit und Ausblick
Urbane Produktion bietet vielfältige Chancen: für eine lokale Kreislaufwirtschaft, für zukunftsfähige Stadtquartiere, für Integration durch die Schaffung von unterschiedlichen Arbeitsplätzen und um die endogenen Potenziale ehemaliger Industriestädte zu nutzen. Urbane Produktion bietet damit auch Chancen für das Ruhrgebiet. Dies zeigen die positiven Beispiele aus anderen Städten. Ob Urbane Produktion im Ruhrgebiet aber genau so funktioniert, liegt in der Zukunft und in den Händen der Akteure. Urbane Produktion ist ein Baustein, um Arbeitsplatzeffekte zu schaffen, Stadtviertel aufzuwerten und die lokale Wirtschaft zu stabilisieren.
»Auch, wenn es immer mal wieder Ansätze bzw. Appelle gegeben hat, Strukturpolitik stärker vorausschauend zu gestalten, lassen sich kaum Blaupausen finden, von denen sich ein Ansatz (…) ableiten lässt.«
Die Unterstützung Urbaner Produktion
kann deshalb als präventive Strukturpolitik
gesehen werden. Anstatt gegen
den Wandel anzukämpfen, kann dieser
gestaltet werden, indem zukunftsfähige
Entwicklungen innerhalb einer Region
nicht nur prognostiziert, sondern vorweggenommen
und aktiv forciert werden.
Denn Zukunftsprognosen gestalten sich
schwierig:
»Auch, wenn es immer mal wieder Ansätze bzw. Appelle gegeben hat, Strukturpolitik stärker vorausschauend zu gestalten, lassen sich kaum Blaupausen finden, von denen sich ein Ansatz (…) ableiten lässt.« (Gärtner 2014, S. 43)
Die Wissenschaft trägt dabei die Aufgabe,
weiter an Indikatoren zu arbeiten, um
Urbane Produktion messbar zu machen
und die offenen Fragen zu beantworten:
Welche Arbeitsplatzeffekte hat Urbane
Produktion? Wie kann Planungssicherheit
für Planungsämter und produzierende
Betriebe geschaffen werden? Wie können
EigentümerInnen aktiviert werden ihre
Immobilien auch für Produktion zu öffnen?
Wie wirken sich die neuen technischen
Möglichkeiten aus? Wie wird die
tatsächliche Nachhaltigkeitsbilanz, der vor
Ort hergestellten Güter, sein? Wie können
lokale Wertschöpfungsketten etabliert
werden und welche Effekte hat das für
die Wirtschaft?
Die Wissenschaft ist aber Beobachterin und bspw. in Reallaboren auf PraktikerInnen vor Ort angewiesen. Die Entwicklung Urbaner Produktion ist maßgeblich vom Faktor Mensch abhängig, z. B. von den beteiligten Akteuren, die Entscheidungen treffen. Urbane Produktionsbetriebe und deren Ansiedlungen stehen allerorts stark unter Druck und brauchen aktive Unterstützung, um nicht weiter verdrängt zu werden. Letztendlich liegt der Ball bei den PraktikerInnen, bei Unternehmen und BürgerInnen, aber vor allem auch bei der Politik, dem Stadtplanungsamt und der Wirtschaftsförderung, die Chance zu ergreifen und die Produktion zurück in ihre Stadt zu bringen. Es braucht gleichermaßen wieder eine Akzeptanz für eine Nutzungsmischung, die auch produzierendes Gewerbe beinhaltet, und den Mut, diesen Weg zu gehen.
[1] Im Rahmen der Industrialisierung stellte die Kohleindustrie eine Lebensgrundlage für die bis zu 600.000 Beschäftigten unter Tage zum Ende der 1950er Jahre dar. Im Verlauf der sogenannten Kohlekrisen und dem anschließenden beschäftigungspolitischen Programm des Bundes ging die Beschäftigung innerhalb von elf Jahren (1957 bis 1968) um 57,6 % (-285.000 Beschäftigte) zurück (Dahlbeck & Gärtner, 2019).
[2] Viele Produkte werden in komplexen weltweiten Lieferketten produziert, die durch Transport und umweltschädlicher Herstellung sowohl vor Ort als auch global zu starken Belastungen führen. Von der EndverbraucherIn konsumiert, wird das ausgesonderte Produkt zu Abfall, der ebenfalls in andere Länder exportiert wird, um – meist unter widrigen Umständen – ausgenommen, verbrannt oder deponiert zu werden.
[3] Mitglieder sind unter anderem Barcelona, Bhutan, Mexico City, Amsterdam, Detroit und andere. Deutsche Städte haben sich der Initiative bislang nicht angeschlossen. Für weitere Informationen: https://fab.city/.
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