Bentobox – Logistikbaustein in der Stadt von Morgen
Daniel Rybarczyk
LNC LogisticNetwork
Consultants GmbH
Urbane Logistik in der Stadt von Morgen
Unter dem Begriff «Urbane Logistik» wird eine Vielzahl von Konzepten und Tätigkeiten zusammengefasst, die zur Gestaltung und Optimierung des städtischen Wirtschaftsverkehres dienen. Die Akteure der urbanen Logistik erfüllen in dicht besiedelten Räumen die Aufgabe der Ver- und Entsorgung von Haushalten sowie Handels- und Produktionsstandorten. Der innerstädtische Lieferverkehr gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung, da die heutigen Infrastrukturen nicht an die Anforderungen aktueller Logistikprozesse in der Stadt von Morgen angepasst sind. Verstärkt durch die anhaltende Urbanisierung, sinkende Haushaltsgrößen und dem sich ändernden Konsumverhalten der Bevölkerung nimmt der städtische Lieferverkehr stetig zu und führt vermehrt zu Problemen bei der Ver- aber auch Entsorgung in Städten.
Wie kann eine zukunftsfähige, stadtverträgliche und möglichst nachhaltige Logistik in Stadtquartieren der Zukunft aussehen?
Das stetige Wachstum des Onlinehandels, sowie innovative und flexible Zustellkonzepte (z.B. Same-Day-Delivery) verändern die Strukturen des innerstädtischen Lieferverkehrs zunehmend. Die Entwicklungen führen zu einer »Atomatisierung« von Sendungen, die immer höher frequentierte Zustellvorgänge und eine zunehmende Verkehrsbelastung im städtischen Raum zur Folge haben. Die Bestellung und Lieferung von Waren umfasst neben Waren aus den Bereichen Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP), Handel und Stückgut des mittel- und langfristigen Bedarfs, immer stärker auch die Versorgung der Endverbraucher mit Lebensmitteln. Stationäre Filialen verlieren im Zuge dieser Entwicklungen zunehmend an Bedeutung und werden öfter, z. T. mehrfach täglich, mit kleineren Mengen beliefert. Die dadurch entstehenden Lieferverkehre, stellen eine Herausforderung für die Logistik in Städten dar. Auf der einen Seite entstehen Umweltbelastungen durch den Schadstoffausstoß der Lieferfahrzeuge, zum anderen hemmen diese den Verkehrsfluss und erzeugen Gefahrensituationen. Zusätzlich führt das veränderte Konsumverhalten, die wachsenden Kundenanforderungen der Bevölkerung und regulative Vorgaben der städtischen Verwaltungen zur Notwendigkeit, Transporte im städtischen Raum anders zu organisieren, um diese möglichst umweltfreundlich, bedarfsgerecht und wirtschaftlich abwickeln zu können. Innovationen in der Logistik müssen darauf abstellen, Verkehre zukünftig zu vermeiden, sie zu verlagern und stadtverträglich abzuwickeln.
Die Urbane Logistik muss sich auf diese
Herausforderungen und Veränderungen
einstellen und innovative Lösungsansätze
erproben, die die Effizienz und Umweltverträglichkeit
auf dem kosten- und
zeitintensivsten Teil der Logistik, der sog.
»letzten Meile«, steigern. Das Ziel dabei ist
eine Entlastung städtischer Verkehrs- und
Infrastruktursysteme bei einer gleichzeitigen
Erhöhung der Leistungsfähigkeit
der urbanen Logistik. Hierzu werden im
Rahmen verschiedener Projekte innovative
Lösungen und neuartige Konzepte entwickelt.
Der Fokus liegt auf einer möglichst
nachhaltigen und stadtverträglichen Abwicklung
der Logistikprozesse. Dem Einsatz
alternativer Antriebe kommt hierbei
eine entscheidende Rolle zu. Als vorteilhaft
erweist sich zudem die Implementierung
von Maßnahmen und Konzepten in einer
kleinräumigen Testumgebung, wie sie beispielsweise
Stadtquartiere darstellen. Die
entwickelten Konzepte können innerhalb
eines kurzen Zeitraums implementiert
und in der Praxis erprobt werden. Die so
gewonnenen Erkenntnisse können genutzt
werden, um die Konzepte auf den gesamtstädtischen
Raum zu übertragen.
Projekt Stadtquartier 4.0
Wie kann eine zukunftsfähige, stadtverträgliche und möglichst nachhaltige Logistik in Stadtquartieren der Zukunft aussehen?
Mit dieser Frage beschäftigt sich das Projekt »Stadtquartier 4.0« und strebt als Lösungsansatz die Entwicklung eines nachhaltigen und integrierten Logistiksystems an. Während der dreijährigen Laufzeit des Projekts soll ermittelt werden, unter welchen Bedingungen die lokale Wirtschaftsleistung eines Quartiers gesteigert werden kann, ohne die Verkehrsbelastung und damit Schadstoffemissionen wie CO2, Stickoxide und Lärm zu erhöhen.
Im Zuge des Forschungsprojekts wird untersucht, welche Ansätze es in der Stadt von Morgen geben kann, um Bedürfnisse der Anlieger direkt im Stadtquartier zu erfüllen, ohne zusätzliche Verkehre zu generieren.
Das Forschungsprojekt soll Auswege und Lösungsmöglichkeiten für Städte aufzeigen und erproben. Dafür nutzen die Projektpartner ihre Expertise in den Bereichen, Logistik und Mobilität sowie der lokalen Produktion.
Die LNC LogisticNetwork Consultants GmbH, die Holzmarkt Quartier Versorgungsgesellschaft mbH (HMQV), das Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) und das IRS – Leibniz Institut für Raumbezogene Sozialforschung arbeiten gemeinsam an der Umsetzung dieser Vision. Das Ziel ist eine nachhaltige Entlastung von Stadtquartieren etwa durch Ansätze wie der urbanen Produktion, dem Einsatz von Lastenrädern für Logistikprozesse, einem quartiersbezogenen Logistikmanagement sowie einem Sharing-System. Auf diese Weise soll eine vernetzte, zukunftsfähige und nachhaltige Logistik konzipiert, realisiert und in der Praxis erprobt werden. Das Berliner Holzmarkt Areal im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg bildet dabei die Testumgebung für insgesamt vier Projektbausteine, die entwickelt und in die bestehenden Prozesse des Holzmarkts integriert werden sollen.
Dieses Quartier befindet sich zu Projektbeginn in der Bauphase und bietet optimale Voraussetzungen, da das Projektkonsortium in die Planungsprozesse miteingebunden wurde. Zusätzlich wird dem Konsortium der Zugang zu relevanten Daten gegeben, wodurch besonders die Analyse von Materialströmen und Ableitung von Maßnahmen positiv beeinflusst werden. Abschließend sind die Akteure am Holzmarkt sehr aufgeschlossen gegenüber neuer Lösungskonzepte und haben im Vorfeld die Mitwirkung bei der Ausgestaltung von Lösungen versichert
Das im Zuge des Projekts entwickelte System mit der Bezeichnung »Bentobox« bildet dabei den zentralen Baustein des Projekts. Die Bentobox wird u. a. als Zwischenlager genutzt, um ein- und ausgehende Lieferverkehre am Projektstandort Holzmarkt zu bündeln und auf nachhaltige Transportsysteme zu verlagern. Parallel zur Entwicklung der Bentobox wird ein ganzheitliches Logistikmanagement konzipiert, welches die verschiedenen Bausteine des Projekts miteinander vernetzt und die Effizienz steigern soll. Zu den Projektbausteinen gehören auch ein Sharing-System mit einer elektrisch angetriebenen Fahrzeugflotte sowie verschiedene Ansätze der urbanen Produktion. Flankiert wird das Projekt durch Erhebungen und Befragungen des Forschungspartners IRS.
Bentobox
Das hier vorgestellte System ist eine Weiterentwicklung der sog. „BentoBox“ aus dem EU‑Projekt „Citylog“, das im Rahmen eines Feldversuches in Berlin, Lyon und Turin unter Realbedingungen getestet wurde. Abgeleitet wird die Bezeichnung vom japanischen Bentō, einer in Japan weit verbreiteten Darreichungsform von Speisen, bei der in einem speziellen Kästchen mehrere Speisen voneinander getrennt dargeboten werden.
In dem EU-Vorhaben mit 36 Monaten Laufzeit und europäischen Projektpartnern aus Italien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Schweden – wurden unterschiedliche Ansätze verfolgt, um heutige Citylogistik-Systeme zu verbessern. Das Forschungsprojekt „Stadtquartier 4.0“ knüpft dabei an die Erkenntnisse aus dem Citylog Projekt an und strebt als Lösungsansatz die Entwicklung eines nachhaltigen und integrierten Logistiksystems unter besonderer Betrachtung der erforderlichen Güter- und Warenströme an. Die Bentobox bildet in diesem Kontext den zentralen Baustein des physischen Logistiksystems.
Die Bentobox als anbieterneutrales System dient zur Bündelung ein- und ausgehender Sendungen, was zu einer Kosteneinsparung und Reduktion kleinräumiger Lieferverkehre bei der Zustellung auf der »letzten Meile« führt. Im Pilotversuch des EU-Projekts „Citylog“ wurde bereits 2011 nachgewiesen, dass die Bentobox zu einer Reduzierung von Lieferverkehren führen kann. Als zentrales Verteilsystem konnte die Bentobox sowohl als Ausgangspunkt der Feinverteilung per Lastenrad als auch zur Zwischenlagerung der zu transportierenden Waren genutzt werden. Die Kurierautofahrten im Zustellgebiet konnten um rund 85 Prozent reduziert werden, ohne dabei nennenswerte zeitliche Verzögerungen oder Einbußen bei der Dienstleistungsqualität zu verursachen.
Die Bentobox als anbieterneutrales System dient zur Bündelung ein- und ausgehender Sendungen, was zu einer Kosteneinsparung und Reduktion kleinräumiger Lieferverkehre bei der Zustellung auf der »letzten Meile« führt.
Somit konnte das lokale Lieferverkehrsaufkommen deutlich vermindert und der CO2-Ausstoß reduziert werden. Kernbestandteil der Bentobox der ersten Generation sind frei herausnehmbare Module verschiedener Größe. Jedes Modul ermöglicht eine variable Nutzung – je nach Größe und Anforderung der einzulagernden Pakete. So konnte die Bentobox bspw. über GPRS (General Packet Radio Service) von Logistikdienstleistern in die unternehmensinterne Disposition einbezogen und auch von Endkunden genutzt werden.
Im Zuge des Forschungsprojekts Stadtquartier
4.0 wurde die Bentobox weiterentwickelt
und soll im 2. Quartal 2019
aufgebaut und in einem Feldversuch
erprobt werden (siehe Abbildung 3).
Die Dimensionierung der Container und die integrierten Funktionen des Vorgänger Systems wurden optimiert und an die aktuellen Anforderungen relevanter Nutzergruppen angepasst. So bietet das weiterentwickelte System beispielsweise durch die modulare und flexible Gestaltung die Möglichkeit, jederzeit die Anzahl der Schließfächer auf die Wünsche des Kunden anzupassen. Das System weist geringe Anforderungen an den Standort auf und ermöglicht durch die konstruktive Gestaltung einen schnellen Auf- und Abbau. Die Bentobox ist anbieteroffen und anwendungsübergreifend konzipiert, um sich besser in das Stadtbild zu integrieren und prinzipiell einen diskriminierungsfreien Zugang anzubieten. Knappe Flächen im öffentlichen Raum können so effizient genutzt werden. Insbesondere für Dienstleister ohne eigene Infrastrukturen wird die Möglichkeit geschaffen, ein solches Übergabesystem zu nutzen und z. B. konventionelle Zustellfahrten durch Lastenradfahrten zu substituieren. Zu den realisierten Anwendungen der Bentobox zählen ein Sharing-System für Werkzeuge und Alltagsgegenstände, die Funktionen eines Mikro-Depots und einer Paketannahmestelle, sowie eine integrierte Wechselbatteriestation für elektrisch angetriebene Kleinstfahrzeuge oder Pedelecs. Die 24/7-Zugänglichkeit sowie Entkoppelung von Lieferzeitfenstern ermöglicht innovative Logistikkonzepte, wie die Anlieferung von Sendungen zu Tagesrandzeiten. Das Verkehrsaufkommen zu Stoßzeiten wird hierdurch reduziert und die Zustellquote auf der letzten Meile verbessert. Durch die verschiedenen Funktionen der Bentobox wird die Auslastung des Systems erhöht, was zu einer Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und einer schnelleren Amortisation der Systemkosten führen soll.
Die Bentobox soll zukünftig in Wohngebieten, Shopping-Malls und Gebieten mit hohem Sendungsaufkommen zum Einsatz kommen. Als potenzielle Standorte eignen sich vor allem Ballungsräume und Stadtquartiere, wie beispielsweise die Mierendorff-INSEL im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Die einzigen Voraussetzungen sind, eine für Kunden und Dienstleister frei zugängliche Fläche, die Stromversorgung und ein Internetzugang. Aktuelle Vorhaben wie das von LNC koordinierte KoMoDo Projekt zeigen zudem, dass der Einsatz von Mikro-Depotlösungen in Verbindung mit Lastenrädern besonders in hochverdichteten Gebieten vorteilhaft ist. Die Nutzergruppe der Bentobox sind Privatpersonen und Gewerbetreibende im innerstädtischen Raum sowie Logistikunternehmen im Bereich KEP.
Gefördert durch
Das Projekt »Stadtquartier 4.0« mit der Laufzeit vom 01.02.2017 bis 31.01.2020 wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF gefördert. Fördergrundlage ist die Fördermaßnahme »Nachhaltige Transformation urbaner Räume«.
Projektkonsortium
Die LNC LogisticNetwork Consultants GmbH ist seit 1998 als unabhängiges, internationales Beratungsunternehmen im Bereich Mobilität und Logistik tätig. Für die Kunden aus den Bereichen Industrie, Handel, Dienstleistung und öffentliche Hand entwickeln wir markt- und nutzerkonforme Lösungen. Dabei sind wir von der Konzeption bis zur Umsetzungsunterstützung an allen Phasen der Projektbearbeitung beteiligt.
Die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK) initiierte und begleitet das Projekt. Vor allem das Einbringen der gesamtstädtischen Perspektive und die Vertretung der Belange der öffentlichen Hand obliegen der Senatsverwaltung.
Das Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) aus Berlin ist an der Entwicklung der Bentobox, sowie Konzeption des Feldversuchs beteiligt. Das IPK führt die Bewertung der verschiedenen Bausteine im Gesamtprojekt durch. Im Rahmen des Stadtquartier 4.0 Projekts ist das IPK zusätzlich für die softwareseitige Entwicklung des anbieteroffenen und anwendungsübergreifenden Systems verantwortlich.
Die Holzmarkt Quartier Versorgungsgesellschaft mbH (HMQV) ist der operative Partner im Stadtquartier 4.0 Projekt und stellt die benötigte Freifläche für die Bentobox zur Verfügung. Zusätzlich erforscht die HMQV die Nutzerakzeptanz bzgl. neuartiger Systeme.
Das Leibniz Institut für Raum- und Sozialforschung ist als Projektpartner sowohl an der Gestaltung und Implementation von »Stadtquartier 4.0« beteiligt, als auch an der wissenschaftlichen Analyse der ablaufenden Prozesse.