LutherLAB – Aus Reallabor zu Urbaner Produktion wird ein Verein
Kerstin Meyer,
Sophia Schambelon
Westfälische Hochschule
Gelsenkirchen
Institut Arbeit und Technik
Bei der Methode der Reallabore wirkt Forschung aktiv bei gesellschaftlichen Transformationsprozessen mit, setzt Impulse, etabliert Netzwerke mit Praxisakteuren und untersucht deren Wirkung. Der Beitrag veranschaulicht die Vorgehensweise anhand des Beispielprojekts UrbaneProduktion.Ruhr.
Reallabore werden vermehrt als Methodik
der transformativen Forschung in
verschiedenen Projekten [1] angewandt.
Ziel von Reallaboren ist es, mithilfe von
Co-Design, Co-Produktion und Co-Evaluation
unterschiedlicher Akteure wissenschaftliche
Erkenntnisse zu gewinnen
und nachhaltig in die Praxis umzusetzen
(Schneidewind et al. 2018, S. 13). Unter
anderem werden innerhalb und in Folge
von Reallaboren Prozesse angestoßen,
Strukturen aufgebaut oder Akteure
befähigt, sich selber zu organisieren. Beispielhaft
für so eine Umsetzung wird im
Folgenden das LutherLAB vorgestellt, das
im Rahmen des Verbundvorhabens »Pro
Urban – Produktion zurück in die Stadt?«
bzw. UrbaneProduktion.ruhr durch das
Institut Arbeit und Technik, die Hochschule
Bochum, die Urbanisten aus Dortmund
sowie die Stadt Bochum – v. a. Amt für
Wohnen und Stadtentwicklung sowie
Wirtschaftsentwicklung – von Oktober
2016 bis September 2019 in Bochum
durchgeführt wurde.
Reallabore sollen dazu dienen, wissenschaftliche Konzepte aus den Elfenbeintürmen herauszuholen und direkt mit der Praxis so weiterzuentwickeln, dass eine Umsetzung möglich und übertragbar ist.
Die Methode des Reallabors ist relativ
neu und wird seit 2015 in Projekten in Baden-
Württemberg eingesetzt und derzeit
vermehrt in Projekten auf Bundesebene
weiterentwickelt. Reallabore bauen dabei
auf der Partizipativen Aktionsforschung
nach Walter (2009) (s. Abbildung 1) auf.
Demnach ist es notwendig, ein Thema
initiativ umzusetzen und anschließend
zu beobachten, inwiefern es angenommen
wurde und erfolgreich war. Nach
der Evaluation wird die Planung auf die
neuen Ergebnisse angepasst und weitere
Aktionen umgesetzt, die wiederum beobachtet
werden, bis sich letztendlich ein
Status-Quo etabliert, mit dem alle verantwortlichen
Parteien zufrieden sind.
Reallabore sollen dazu dienen, wissenschaftliche Konzepte aus den Elfenbeintürmen herauszuholen und direkt mit der Praxis so weiterzuentwickeln, dass eine Umsetzung möglich und übertragbar ist. Die kontinuierliche Reflexion der Aktionsforschung ist ein wesentlicher, aber nicht ausschließlicher Faktor dafür. Schäpke et al. (2018, S. 86) ergänzen den Ansatz durch weitere vier Charakteristika, die für das Erreichen des Ziels schlüssig sind: Beitrag zur transformativen Forschung im gesellschaftlichen Problemfeld, transdisziplinäre Forschung durch Praxisakteure und Wissenschaft, Experimente als methodische Grundlage sowie die langfristige und übertragbare Forschung. Anhand dieser Kriterien stellt der vorliegende Beitrag das Reallabor im Stadtteil Werne / Langendreer-Alter Bahnhof mit dem LutherLAB dar, welches als Instrument genutzt wurde, Urbane Produktion anzustoßen. Aus dem Forschungsinstrument »Reallabor« hat sich schließlich ein selbstständiger Verein entwickelt. Der Beitrag stellt ein Beispiel dafür vor, wie mit einem Forschungsprojekt die Akteure befähigt werden können, sich weiter zu organisieren, um die Thematik auch in Zukunft zu forcieren.
1. Beitrag zur Transformativen Forschung im gesellschaftlichen Problemfeld
Sowohl in der Wissenschaft wie auch in der Praxis werden derzeit Chancen, Herausforderungen und Grenzen von Urbaner Produktion, also der Rückverlagerung und Erhaltung von Produktionsstätten in dicht besiedelten Gebieten, diskutiert (s. Beitrag von Schambelon et al. zu Urbane Produktion in dieser Publikation). Das Thema ist interdisziplinär relevant, da es sowohl Stadtentwicklung und Wirtschaft als auch ökologische und soziale Aspekte berührt. Beispielsweise wird in Städten wie Wuppertal (Brandt et al. 2017, S. 126 ff.), Berlin (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Berlin) und Wien (Fachkonzept Produktive Stadt 2017) derzeit vermehrt nach Lösungen gesucht, wie Produktionsflächen vor Verdrängung durch das rentierlichere Wohnen geschützt werden können. Andererseits gibt es auch einzelne Unternehmen, die wieder gezielt die Stadt als Produktionsort aufsuchen, um dort die notwendigen Fachkräfte für ihr Unternehmen zu finden, ihren Absatzmarkt vor Ort haben, lokale Ressourcen verwenden, neue Technologien zur emissionsarmen Produktion nutzen oder durch eine »gläserne Produktion« die Wertschätzung und das Wissen ggü. Produkten durch Workshops oder Führungen in der Stadtbevölkerung erhöhen wollen.
In Großstädten lässt sich derzeit außerdem der Trend beobachten, dass sich in ehemaligen Ladenlokalen vermehrt kleine Manufakturen ansiedeln. Dies geht mit möglichen positiven Auswirkungen auf die nachhaltige Stadtentwicklung einher, so dass z. B. Güter im Sinne der Stadt der kurzen Wege wieder lokal produziert werden und damit vor Ort Arbeitsplätze entstehen. Im Gegensatz dazu lässt sich diese Entwicklung im Ruhrgebiet nur an wenigen Orten, z. B. in Dortmund-Hörde (Brandt et al. 2017: S. 118) beobachten.
In diesem Kontext war es Ziel des Forschungsvorhabens »UrbaneProduktion. ruhr« zu untersuchen, inwiefern Produktionsunternehmen zur Revitalisierung leerstandbelasteter Stadtteile beitragen und neue Arbeitsplätze schaffen können. Hierfür wurden Reallabore in den Bochumer »Soziale Stadt“-Gebieten Werne / Langendreer-Alter Bahnhof (kurz: WLAB; Reallabor: LutherLAB) und Wattenscheid (kurz: WAT; Reallabor WatCraft) durchgeführt. Der Fokus des Verbundprojekts wurde gezielt auf zwei strukturschwache Stadtteile gelegt, da hier besondere Herausforderungen bzgl. Gewerbeleerstand, mangelnder Funktionalität und städtebaulicher Qualität sowie hoher Arbeitslosigkeit liegen. Dadurch stellt sich gerade hier die Frage, inwiefern kleine Produktionsbetriebe eine Möglichkeit bieten, lokale Einfacharbeitsplätze zu schaffen. Die Antwort wird durch die transdisziplinäre Forschung gesucht.
2. Transdisziplinäre Forschung durch Praxisakteure und Wissenschaft
Im Kern des Projekts »UrbaneProduktion.
ruhr« liegt der Co-Design-Prozess
zwischen Wissenschaft (IAT, Hochschule
Bochum) und Praxis (Stadt Bochum,
Wirtschaftsentwicklung Bochum, die
Urbanisten). Im ersten Schritt wurde
innerhalb von Workshops und Austausch
ein gemeinsames Begriffsverständnis
für Urbane Produktion geschaffen. Anhand
verschiedener Fallstudien wurde
ein Katalog mit relevanten Maßnahmen
zusammengestellt, aus dem ein Konzept
zur Förderung Urbaner Produktion in
Bochum und den Reallaboren entwickelt
und später umgesetzt wurde.
Parallel zum Co-Design-Prozess wurden
die beiden Stadtteile, in denen die Reallabore
stattfinden sollten, analysiert. Die
Analyse bestand hauptsächlich aus fünf
Methoden: Desktoprecherche, Daten- und
Medienanalyse, qualitative Interviews mit
lokalen und themenbezogenen Stakeholdern,
Ortsbegehung und Kartierungen.
Während die ersten Analysen in Federführung
der wissenschaftlichen Partner
lagen, unterstützten die Praxispartner die
Identifizierung von geeigneten Immobilien
für ein erstes »Produktionslabor«. In
beiden Quartieren wurde nach einer gemeinsamen
Ortsbegehung – organisiert
von den jeweiligen VertreterInnen des
Amtes für Wohnen und Stadtentwicklung
sowie Quartiersmanagement – mit einer
Kartierung von Gewerbeleerstand, Brachflächen
und bestehenden Produktionsbetrieben
begonnen.
Parallel dazu wurde großer Wert auf
die Aktivierung von Akteuren gesetzt.
Interviews mit Multiplikatoren aus Politik,
Wirtschaft und Gesellschaft vor Ort
wurden durchgeführt, um ein differenziertes
Bild der Stadtteile zu erhalten,
lokale Stärken und Herausforderungen zu
erkennen und spezifische Handlungsbedarfe
abzuleiten. Diese Kontakte wurden
zudem genutzt, um für das Thema
Urbane Produktion zu sensibilisieren und
mögliche KooperationspartnerInnen für
gemeinsame Aktionen zu gewinnen. Die
Ansprache einzelner Akteure wurde durch
breite Öffentlichkeitsarbeit begleitet. So
nahm das Team mit einem Stand an den
Stadtteilfesten »Bänke Raus« in WLAB
und bei der »WAT 600 Jahrfeier« teil, um
Interessen und Bedarfe der BewohnerInnen
zu erörtern und auch hier engagierte
Personen kennenzulernen. Außerdem
wurden Gründungsmessen und -veranstaltungen
besucht, um GründerInnen aus
dem produktiven Bereich zu finden, die
sich möglicherweise in den Reallaboren
ansiedeln würden.
Das LutherLAB sollte Personen mit unterschiedlichen Hintergründen und Fähigkeiten zusammenbringen, um neue Netzwerke zu schaffen. Daneben galt das Motto ›Räume beleben und neue Prozesse gestalten‹.
Ausschlaggebend für das Reallabor »LutherLAB
« in WLAB war die weitere transdisziplinäre
Zusammenarbeit mit lokalen
Akteuren, die in Abbildung 2 noch einmal
veranschaulicht wird.
Initiator des LutherLABs war das Amt für Wohnen und Stadtentwicklung der Stadt Bochum, welches auf die lange leerstehende Kirche und deren strategisch gelegenen Standort hingewiesen und zur Eigentümerin – der Evangelischen Kirchengemeinde Langendreer – vermittelt hat. Diese war nach einem ersten Ortsbesuch des Projekts im Gebäude bereit, dem Forschungsprojekt die Immobilie für fünf Wochen kostenlos zur Verfügung zu stellen und erlaubte die Kirchenbänke auszulagern. Auch die Zusammenarbeit mit den Genehmigungsbehörden innerhalb der Stadt verlief exemplarisch.
Neben der evangelischen Kirchengemeinde wurden für das »Festival der urbanen Produktion« (siehe Abbildung 2) weitere lokale PartnerInnen gesucht, die gemeinsam mit dem Forschungsprojekt das Gebäude bespielten. Als wichtigste Projektpartner stellten sich schnell das soziokulturelle Zentrum Bahnhof Langendreer, das lokale Stadtteilmanagement WLAB sowie die Werbegemeinschaft Alter Bahnhof und »Langendreer hat’s« heraus, da diese Akteure bereits seit langem vor Ort verankert sind und so als wichtige Multiplikatoren galten, wodurch weitere Initiativen oder Unternehmen angesprochen und mit eingebunden werden konnten. Dank der breiten Akteurskonstellation und Vernetzung war es möglich die geplanten Maßnahmen erfolgreich umzusetzen.
3. Kontinuierliche Reflexion
Eine kontinuierliche Reflexion der Aktionen
und Methoden ermöglicht es, bei
Bedarf diese besser an die experimentellen
Gegebenheiten anzupassen. In beiden
Reallaboren des Projekts (WLAB und
WAT) wurden entsprechend der Situation
vor Ort unterschiedliche Methoden (wie
Interviews, teilnehmende Beobachtung,
Vorträge, Workshops) angewandt, Maßnahmen
durchgeführt (Zwischennutzung,
Aktionen im öffentlichen Raum) und falls
nötig, während des Prozesses modifiziert.
Konkrete Beispiele für die notwendige
und erfolgreiche Anpassung stellen anschließend
die inhaltliche Ausrichtung der
Reallabore, die zeitliche Organisation, das
Marketing sowie die Forschungspraxis
selbst dar.
Zu Beginn war in den Reallaboren die gezielte
Ansiedlung von Produktionsunternehmen
geplant, um dabei GründerInnen
zu unterstützen und gleichzeitig Hemmnisse
und Nutzungskonflikte sowie Wirkung
und Synergien im Quartier zu untersuchen.
Jedoch stellte sich während des
Recherche- und Akquiseprozesses heraus,
dass ein Großteil der Gründungsinteressierten
sich hauptsächlich mit Dienstleistungsangeboten
beschäftigte. Im Produktionsbereich
gibt es vergleichsweise
wenige Gründungen, da der Kapitaleinsatz
zu Beginn höher ist. Unter den wenigen
identifizierten Gründungswilligen im
Produktionsbereich hatten einige bereits
eine Immobilie (in Aussicht) oder andere
Standortwünsche. Zudem ist gerade in
den beiden strukturschwachen Stadtteilen
die Gründungsintensität eher schwach
ausgeprägt, was mitunter am Bevölkerungsmilieu
und einer geringen Kaufkraft
liegt. Aufgrund dieser Hürden wandelte
sich der Fokus der inhaltlichen Ausrichtung
während des Prozesses. Anstelle
des zwanghaften Versuchs, neue urban
produzierende Unternehmen anzusiedeln,
wurde der Fokus auf das »Selbermachen«
von Produkten gelegt. Somit konnte
den BewohnerInnen im Stadtteil gezeigt
werden, wie Produkte selbst günstig
hergestellt werden können. Gleichzeitig
wurde Know-how zu Gründungen vermittelt
und eine erhöhte Wertschätzung
ggü. Produkten hervorgerufen. Parallel
dazu wurde im Rahmen des Gründungswettbewerbs
der Wirtschaftsentwicklung
Bochum »Senkrechtstarter« der »Sonderpreis
Urbane Produktion« eingerichtet,
um die Gründungsintensität im produzierenden
Bereich sowie das Interesse am
Thema zu erhöhen.
Da in Bochum Langendreer schnell interessierte
Akteure zur gemeinsamen Umsetzung
und eine passende Immobilie für
eine Zwischennutzung gefunden werden
konnten, wurde das erste Reallabor dort
umgesetzt, und nicht wie ursprünglich im
Zeitplan angedacht in Wattenscheid, wo
sich die lokalen Akteure zunächst wenig
unter der Thematik und dem Vorhaben
vorstellen konnten. Mit dem bereits
etablierten LutherLAB und durch weitere
Gespräche konnte anschließend auch in
Wattenscheid eine Immobilie gefunden
werden, um das Reallabor WatCraft [2] durchzuführen.
Da es sich bei den Reallaboren um
temporäre Aktionen handelte, war es
wichtig diese möglichst zielgerichtet und
v. a. im Stadtteil für die breite Bevölkerung
zu bewerben, sodass viele unterschiedliche
und interessierte Menschen für
die Veranstaltungen gewonnen werden
konnten. Beim Marketing wurde zunächst
eine Onlinekampagne in der Form von
eigener Homepage und Facebook-Auftritt
angedacht. Ergänzend wurden Plakate
in den lokalen Geschäften und sozialen
Einrichtungen aufgehängt und Flyer
lokal im Quartier an hoch frequentierten
Stellen ausgelegt. Im Prozess stellte
sich heraus, dass viele Menschen ihre
Informationen von lokalen Medien wie
der Zeitung, Stadtspiegel oder Infoblättern
entnehmen. So wurde folgend vermehrt Werbung für das Projekt über diese Medien
geschaltet. Auch Soziale Medien wie
Instagram und Nebenan.de schienen in
dem Zeitraum einen größeren Zuspruch
erhalten zu haben, weshalb auch diese
Medien bespielt wurden.
Die grundsätzliche Reflektion der Aktionen,
sowie die Vorerfahrungen der
TeilnehmerInnen zum Thema Urbane
Produktion wurde zunächst anhand von
Fragebögen bei den Veranstaltungen
erfasst. Es stellte sich schnell heraus,
dass die Forschungsmethode »Fragebogen
« unattraktiv für die BesucherInnen
erschien, weshalb auch die Forschungspraxis
geändert wurde. Vermehrt fand
weiterhin teilnehmende Beobachtung
statt, die durch »Tagesabschlussprotokolle
« bereichert wurden.
Solche Anpassungen unterstreichen die
Notwendigkeit mit gewisser Flexibilität
in der Methode »Reallabor« einzusteigen.
Die Offenheit und Anpassungsvermögen
des Teams spielen eine wichtige Rolle für
die Erreichung der gesetzten Ziele und
Durchführung der geplanten Experimente.
4. Experimente als methodische Grundlage
Ein Wunsch des Forschungsprojekts war es, dass sich Menschen kennenlernen, die sich im Alltag des Stadtteils kaum begegnen. Das LutherLAB sollte Personen mit unterschiedlichen Hintergründen und Fähigkeiten zusammenbringen, um neue Netzwerke zu schaffen. Daneben galt das Motto ›Räume beleben und neue Prozesse gestalten‘. Das Forschungsprojekt versuchte experimentell aus den gegebenen Ressourcen zu schöpfen und gemeinschaftlich kreativ damit umzugehen. Das Experiment als eine wissenschaftliche Methode wird von Schäpke et al. (2018, S. 87) als der aktive Eingriff ins Geschehen beschrieben, um empirische Erkenntnisse zu erlangen. Da die Settings in Reallaboren kaum kontrollierbar und die Ergebnisse dadurch situationsabhängig sind, bestehen Schwierigkeiten bei der direkten Übertragbarkeit der Experimente. Dennoch ist die experimentelle Herangehensweise gerade für die transformative Forschung interessant, um – im Gegensatz zu rein beobachtender Wissenschaft – Impulse zu setzen und in Aktion und Reaktion mit den Akteuren Wissen zu generieren. Dieses Wissen wird in Form von Erfahrungswerten in die unterschiedlichen Sektoren zurückgespiegelt und erzeugt bei den Beteiligten Lerneffekte (Bunse / Meyer 2018b).
Die wichtigsten Ressourcen im Forschungsvorhaben waren die leerstehenden Immobilien, die den Kern der Reallabore bildeten. Seitens der Stadt Bochum wurden zwei leerstehende Schlüsselimmobilien im Stadtteil Langendreer-Alter Bahnhof benannt: eine ehemalige Volksschule und eine seit 2012 leerstehende und entwidmete Kirche. Aufgrund von Beschädigungen durch Vandalismus, Asbestbelastung und einer schlechten Erreichbarkeit wurde die Schule ausgeschlossen. Gründe, die für die Wahl der Kirche sprachen, sind die imposante Architektur des Gebäudes sowie insbesondere die evangelische Kirchengemeinde als Eigentümerin, die sehr aufgeschlossen gegenüber einer Zwischennutzung durch UrbaneProduktion. ruhr war und ist. Bei der Recherche nach Urbanen Manufakturen und Gründungsinteressierten im Ruhrgebiet stießen die Forschenden auf diverse Personen und Kleinunternehmen, die bereits Workshops anbieten oder den Schritt zur Gründung mit Fokus auf Herstellung von Produkten gehen wollten. Diesen Personen wurde während eines fünfwöchigen ›Festivals der Urbanen Produktion‹ die Möglichkeit gegeben Workshops (u.a. Bier brauen, Aquaponikanlagen oder Möbel bauen, Pilze züchten, 3D Druck) anzubieten, sich dadurch zu professionalisieren und möglichst viele Menschen im Stadtteil zu erreichen und für die Produktion zu begeistern (s. Abbildung 3). Um die Teilnahme möglichst vielen Interessierten zu ermöglichen, fanden die Workshops überwiegend samstags statt. In Kooperation mit dem soziokulturellen Zentrum Bahnhof Langendreer, dem Stadtteilmanagement und der Werbegemeinschaft »Langendreer hat’s« wurde dazu ein Rahmenprogramm entwickelt, um fast täglich Veranstaltungen vor Ort anzubieten und das Gebäude für die fünf Wochen zugänglich zu machen. Unter den Angeboten waren z. B. Café-Zeiten mit Kaffee und Kuchen, Co-Working, Kultur- und Diskussionsveranstaltungen zu neuer Arbeit, offene Werkstätten und Abende zu Unternehmensgründungen. Des Weiteren wurde in einem mehrwöchigen Workshop ein Lastenfahrrad von lokalen Fahrradbauern in Kooperation entwickelt und gebaut, wozu parallel eine Fahrradwerkstatt an zwei Samstagen stattfand. Gezielt wurden mehrere Workshops und Veranstaltungen parallel geplant und durchgeführt, um eine mögliche multifunktionale Nutzung im Kirchenschiff zu testen. Die vielfältigen Erfahrungen aus dem Festival sind in die Entwicklung eines langfristigen Nutzungskonzepts eingeflossen.
5. Langfristige und übertragbare Forschung: Vom Forschungsprojekt zum Verein
Zur Verstetigung des Reallabors fanden bereits innerhalb der fünfwöchigen
Zwischennutzung im Herbst 2017
zwei Workshops zur Nachnutzung der
Lutherkirche statt, um mit BürgerInnen
gemeinsam Visionen und Ideen
dafür zu sammeln. Über weitere acht
Monate hinweg trafen sich regelmäßig
BürgerInnen mit den Mitgliedern des
Forschungsprojekts, um weitere Aktivitäten
im LutherLAB zu etablieren, woraus
sich im Juni 2018 ein Verein bestehend
aus BürgerInnen, evangelischer Kirchengemeinde
und MitarbeiterInnen des
Forschungsprojekts gründete. Angestoßen
durch die Zwischennutzung des
Forschungsprojekts, soll das LutherLAB [3] zu einer offenen Werkstatt mit Urbanen
Produktionsbetrieben, Gastronomie und
einem Begegnungsraum werden (vgl.
Bunse / Meyer 2018a&b).
Nachdem das Grundgerüst des Vereins (Gemeinnützigkeit, Eintragung beim Amtsgericht, Einrichtung eines Bankkontos, Abschließung von Versicherungen, etc.) stand, wurden offene Plena eingerichtet, die sich regelmäßig treffen um aktuelle Anfragen, Stand innerhalb der Arbeitsgruppen (Koch-, Siebdruck-, Nähwerkstatt, Energie und Gebäude) und weitere Aktionen wie z. B. das Stadtteiltheater abzustimmen. Um den Verein zu professionalisieren und die Verstetigung weiter voranzutreiben wurde Kontakt zu Initiative ergreifen [4] aufgenommen, die einerseits eine / n ModeratorIn mit Erfahrungswerten für lokale Initiativen bereitstellen und die andererseits Zugang zu längerfristigen Fördermitteln bieten. Nachdem mit dem Verein der organisatorische Grundstein gelegt wurde, gilt es die Netzwerkstrukturen zu erweitern und perspektivisch eine bauliche und wirtschaftlich tragfähige Entwicklung des LutherLABs anzustreben, in dem Urbane Produktion weiterhin eine Rolle spielen wird (s. Abbildung 4).
6. Fazit
Zur Übersicht werden in Abbildung 5 die
von Schäpke et al. (2018, S. 86) definierten
fünf Charakteristika für Reallabore noch
einmal veranschaulicht gezeigt und in
der rechten Spalte durch die jeweiligen
Aktionen der praktischen Umsetzung
im Rahmen des Forschungsprojekts
UrbaneProduktion.Ruhr knapp gegenüber
gestellt [5].
Ziel des Forschungsprojektes war es,
herauszufinden, inwiefern Produktion in
strukturschwachen Stadtteilen angesiedelt
werden kann und welche Effekte dies
mit sich bringt. Bislang kann diese Frage
durch das Reallabor in Werne / Langendreer-
Alter Bahnhof noch nicht beantwortet
werden, denn Produktionsunternehmen
konnten aufgrund der Kürze
der Zeit, fehlender Entrepreneure und
schlechter Rahmenbedingungen wie zu
hohe Mieten, zu kleine Leerstände oder
zu schlechter Zustand dieser, nicht angesiedelt
werden.
Reallabore eignen sich dennoch einen
gesellschaftlichen Wandel und neue
Prozesse in Quartieren anzustoßen. So
diente das LutherLAB und die damit
verbundene Bespielung der Lutherkirche
der Sensibilisierung der Akteure für das Thema Urbane Produktion, ermöglichte neue Netzwerke und die nachfolgende Verstetigung durch den Verein. Generell kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass eine Zwischennutzung von fünf Wochen nicht jede / n Stakeholder und BürgerIn im Stadtteil erreicht. Allerdings wurde eine erste kritische Masse und Pioniergeister geweckt, die sich gemeinsam mit dem Forschungsprojekt auf die Reise der weiteren Entwicklung des Gebäudes und des Stadtteils begab. Ziel ist letztendlich die komplette Übergabe des Projekts an den Stadtteil bzw. Verein.
Herausforderungen des Projekts bestanden darin, die Thematik gut zu vermitteln. Das interdisziplinäre Team hatte zwar bereits ein eigenes Verständnis von Urbaner Produktion erarbeitet und versucht, diese über Workshops zu übertragen. Die Vermittlung der Definition fiel schwer, wurde von den Gründungsmitgliedern des Vereins dann jedoch verinnerlicht und versucht in die Satzung mit einfließen zu lassen. Für die Zukunft wird sich die Frage stellen, inwiefern ein solch komplexes Projekt – v. a. durch das mitunter baufällige Gebäude – von rein ehrenamtlicher Tätigkeit gesteuert werden kann. Auch unterschiedliche Denkmuster und Generationen im Verein verlangen einerseits neue Kommunikationswege und eine gewisse Offenheit und bieten andererseits ein enormes Potential unterschiedlicher Erfahrungswerte. Vorteilhaft ist auch, dass die Stadt Bochum im Projekt eingebunden war und somit direkte Wege zu anderen Behörden vermittelt werden konnten. Insgesamt zeichnet sich das Projekt durch viele mutige Menschen aus, die sich gemeinsam auf den Weg ins Ungewisse begeben und dennoch ihre jeweiligen Expertisen mit einbringen, wodurch das gesamte Projekt langfristig zum Erfolg werden kann.
Im Falle des LutherLABs zeigt sich, dass in Reallaboren gesellschaftliche Prozesse angestoßen werden können, die durchaus langfristig in den Stadtteil wirken. Aufgrund des transdisziplinären Forschungsansatzes und des Co-Designs mit unterschiedlichen Akteuren war es aber schwierig und nicht sinnvoll, sich rein auf die Beantwortung der Forschungsfrage zu fokussieren, wenn die Akteure eigene Bedarfe mitbringen, die durchaus in das Projekt integriert werden konnten (z.B. Stadtteiltheater). Im Reallabor wurden die Rahmenbedingungen vor Ort aufgegriffen und die Strategie der Sensibilisierung für Urbane Produktion und des Selbermachens gewählt, um die Stakeholder aufzuklären und mögliche ansiedlungswillige Unternehmen zu identifizieren. Weiter konnten die Hürden analysiert werden, die es erschweren, produzierende Unternehmen im Stadtteil anzusiedeln. Diese Erkenntnisse werden im weiteren Verlauf des Projektes genutzt, um neue Maßnahmen zu entwickeln. Dies entspricht der Vorgehensweise des Reallabor-Ansatzes, zeigt aber auch, dass diese Forschungsmethode vor allem dann sinnvoll ist, wenn sie längerfristig angelegt wird. Denn sowohl die Aktivierung, Sensibilisierung und Beteiligung von Akteuren, aber auch die Beforschung durch den iterativen Kreislauf von Erkenntnis, Reflexion und Aktion kosten Zeit und Ausdauer und müssen einem solchen Ansatz zugestanden werden.
Weitere Informationen www.lutherlab.de
[1] U. a. Bottrop 2018+, DoNaPart, Migrants4Cities, KoopLab, Quartier Mobil, TransZ, ZUKUR
[4] Initiative ergreifen ist ein Förderprogramm des nordrhein-westfälischen Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung (MHKBG) und Teil der Städtebauförderung. Schwerpunkte sind Projekte des bürgerschaftlichen Engagements und der Stadterneuerung. Weitere Informationen unter https://initiative-ergreifen.de/
[5] Siehe zum Reallaboransatz im Projekt Bunse / Meyer 2018b. Zum allgemeinen Verständnis von Reallaboren siehe u. a. Di Giulio, A./Defila, R. (2018). Transdisziplinär und transformativ forschen. Springer Fachmedien
Literatur
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Bunse, J. & Meyer, K. (2018a). Kirchengebäude als Element der Baukultur. In: RaumPlanung: Fachzeitschrift für räumliche Planung und Forschung, Nr.198, S. 42–47
Bunse, J. & Meyer, K. (2018b). Urbane Produktion im Reallabor. In: S. Schaefer / A. Lindner / H. Schröder/ D. Dangel (Hrsg.) Quartiersforschung im Fokus der Wohnungswirtschaft: Trends und Entwicklungsperspektiven. Lemgo: Rohn, S. 99 – 112
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