Reallabore für die Wirtschaft. Die Erfahrungen aus Bottrop auf einen Blick [1]
Stadt Bottrop
Amt für Wirtschaftsförderung
und Standortmanagment
Reallabore sind zu einem beliebten Instrument der Transformationsforschung geworden. Im »Bottrop 2018+« wurde sie als operative Ebene im Ansatz »Strategische Allainazen« eingesetzt, um gemeinsam mit den Wirtschaftsakteuren am Standort mit Maßnahmen für Nachhaltigkeit und Resilienz zu experimentieren. Folgender Beitrag fasst die Erfahrungen aus dem Reallabor-Prozess in Bottrop zusammen.
Im Rahmen des Verbundprojekts »Bottrop
2018+« wurde mit der Wirtschaftsallianz
Bottrop (WiAll) eine neuartige
Plattform geschaffen, in der Bottroper
Unternehmen, städtische Institutionen
und andere Akteure der Stadtgesellschaft
gemeinsam in einem offenen Prozess
die Zukunft des Wirtschaftsstandortes
gestalten. Die WiAll ist dabei in drei
zukunftsträchtigen Handlungsfelder
aktiv, welche in Bottrop von besonderer
Relevanz sind: »Kooperative & digitale
Produktion im Handwerk«, »Nachhaltige
Unternehmensgründungen« und »Handel
der Zukunft« (s. Merten et al. zum Anstatz
Bottrop 2018+). Die gemeinsam erarbeiteten
Strategien und Leitlinien einer
nachhaltigen und resilienten Entwicklung
der Wirtschaftsstruktur wurden innerhalb
von Reallaboren in konkrete Maßnahmen
und Aktivitäten umgesetzt. Dieser Beitrag
fasst die Besonderheiten der Bottroper
Reallaboren und die wichtigsten Ergebnisse
daraus zusammen.
Reallabore – ein Instrument der Transformation
In der Transformationsforschung werden
Reallabore vermehrt als ein Instrument
angewendet, um verschiedene Akteure
zusammenzubringen und gemeinsam
urbane Nachhaltigkeitstransitionen ergebnisoffen
anzustoßen (Marquardt &
West, 2016). Schneidewind (2014: 3) versteht
Reallabore als »einen gesellschaftlichen
Kontext, in dem Forscherinnen und
Forscher Interventionen im Sinne von
»Realexperimenten« durchführen, um
über soziale Dynamiken und Prozesse zu
lernen«. In diesem Sinne sind Reallabore
gleichzeitig ein Format zum Lernen und
zum Umsetzen von Maßnahmen.
Im Vergleich zu anderen Reallaboren (siehe Beiträge zu LutherLab und MAGIE in dieser Publikation) verstehen sich die Reallabore in Bottrop als Experimentierräume speziell für Wirtschaftsakteure. Dabei können die entwickelten Maßnahmen sowohl die Stadt Bottrop als Ganzes, als auch Quartiere, Wertschöpfungsketten oder einzelne Branchen adressieren. Die relevanten Akteure und Stakeholder am Standort werden auf Augenhöhe eingebunden, um in Kooperation Lösungen zu entwickeln und zu erproben. Ziel der Bottroper Reallabore ist es einen Bewusstsein- und Verhaltenswandel zu bewirken. Sie sind »Kristallisationspunkte « der Transition hin zu einer nachhaltigen und resilienten Wirtschaftsstruktur am Standort Bottrop. Dabei geht es nicht darum, feste Vorgaben zur Nachhaltigkeit umzusetzen, sondern nachhaltige Praktiken zu erproben, die mit einer Vielfalt verschiedener Lebens- und Arbeitsweisen kompatibel sind.
Die Reallabore in Bottrop: Vom Ansatz bis zur Umsetzung
Die Reallabore in Bottrop stellen die operative Ebene des Ansatzes »Strategische Allianzen« dar (s. Merten et al. zu Strategischen Allainazen). Konzeptionell waren die Reallabore als ein offener Prozess angelegt. Das heißt die Teilnehmenden sollten ausgehend von ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten die Inhalte und zu erprobenden Maßnahmen eigenständig definieren und umsetzen. Den Orientierungsrahmen hierfür sollten die in den thematischen Strategischen Allianzen festgelegten Leitideen, Ziele, Indikatoren und Instrumente bilden. Drei Prinzipien sollten dabei beachtet werden:
- Ergebnissoffenheit im Arbeitsprozess, der auch ein »Scheitern« bzw. das Verwerfen von nicht tragfähigen Maßnahmen beinhalten kann;
- Flexibilität und Lernfähigkeit, so dass Hindernisse thematisiert und aus den Erfahrungen gelernt werden kann;
- Sicherung der Partizipation durch einen einfachen Zugang, so dass alle interessierten Wirtschaftsakteure am Standort die Möglichkeit bekommen, sich im Reallabor einzubringen.
Im Vergleich zu anderen Reallaboren verstehen sich die Reallabore in Bottrop als Experimentierräume speziell für Wirtschaftsakteure.
Dieser Ansatz ist jedoch nur bedingt im Projekt gelungen. Durch das Wegfallen der mittleren Ebene der thematischen Strategischen Allianzen (s. Merten et al.zum Anstatz Bottrop 2018+) in dieser Publikation), wurde die strategische Ausrichtung der Reallabore in die Reallabore selbst verlagert. Damit wurden dieAkteure, die sich mit der Umsetzung von Maßnahmen befassen wollten, auch mit einer strategischen Ausrichtung konfrontiert. Diese Anforderungen, so wie dieEvaluation und Reflektion der Maßnahmen bezüglich Nachhaltigkeit und Resilienz haben die Teilnehmenden vor Schwierigkeiten gestellt. Die strategischeAusrichtung und die Evaluation musste dementsprechend das Projektteam von Bottrop 2018+ übernehmen. Die beteiligten Wirtschaftsakteure haben sichinnerhalb der Reallabore auf konkrete, greifbare Maßnahmen und Lösungen fokussiert, in welchen sie einen Mehrwert für sich erkennen konnten. Tabelle 1 fasstdie vier Reallabore, die in einem moderierten Prozess von den Akteuren der WiAll definiert wurden, und die durchgeführten Maßnahmen zusammen.
Fazit: Lessons Learned
Die Reallabore in Bottrop 2018+ zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf eine Kooperation zwischen Stadtverwaltung, Wissenschaft und wirtschaftlichen Akteuren abzielen. Im Vordergrund steht die Zusammenarbeit mit den Unternehmen am Standort, die ausgehend von den eigenen Bedürfnissen und Ressourcen Lösungen für bestimmte Wertschöpfungsketten, Branchen oder branchenübergreifend entwickeln und erproben sollen. Die Reallabore dienen als operative Ebene der in der WiAll definierten nachhaltigen wirtschaftsstrukturellen Ausrichtung.
Die drei Prinzipien – Offenheit, Flexibilität und breite Partizipation – konnten nur bedingt umgesetzt werden. Die Beobachungen aus dem Prozess lassen sich wie folgt zusammenfassen. Eine umfangreiche Betrachtung der Reallabor-Planungsprozesse befindet sich auf der Projektwebseite.
Es braucht einen langfristigen Blick, um Maßnahmen rund um die stärkere Förderung von Nachhaltigkeit und Resilienz anzugehen.
Offenheit des Prozesses
Der Reallabor-Ansatz war in »Bottrop 2018+« von Beginn an sehr offen und partizipativ angelegt. Durch die WiAll waren alle Beteiligten der Reallabore für die wirtschaftssstruktuellen Herausforderungen sensibilisiert. Die Forschungsfragen wurden aus der Arbeit der WiAll abgeleitet. Konkrete Maßnahmen wurden auf den ersten Treffen der vier Reallabore erarbeitet und in anschließenden Treffen spezifiziert. Dabei wurde je Reallabor ein Zeit- und Umsetzungsplan erarbeitet. Die vorgesehene Selbststeuerung der Aktivitäten und Prozesse in den Reallaboren ist allerdings schnell an ihre Grenzen gestoßen.
Von den Beteiligten wurde erwartet,
neben der Entwicklung und Umsetzung
von Maßnahmen auch an der Gestaltung
des Reallabors als Instrument mitzuwirken
(z.B. durch die Unterstützung der
Entwicklung von Indikatoren). Ziel war
es, die Reallabore mit den Wirtschaftsakteuren
für die Wirtschaftsakteure
weiterzuentwickeln. Dieses geplante
Vorgehen ist jedoch seitens der Teilnehmenden
auf Widerstand gestoßen.
Insobesondere wurde ein fehlender
Bezug zur eigenen unternehmerischen
Tätigkeit moniert.
Die Unternehmen waren der Idee der Reallabore
zugeneigt und haben die Vorteile,
sich in dieser Struktur auszutauschen und
zu kooperieren erkannt. Jedoch bestand
kein Interesse daran sich an der strukturellen
Entwicklung der Reallabore zu beteiligen,
da den Beteiligten der Mehrwert
nicht vermittelt werden konnte. Stattdessen
wurden eine vordefinierte und vom
Projektteam erarbeitete Struktur eingefordert,
welche die praktische Umsetzung
von Ideen ermöglichen sollte. Diese
Dynamik hat sich auch bei der Selbstevaluation
der Experimente gezeigt. Ein
Ziel vom Bottrop 2018+ war es, Akteure zu
befähigen die Nachhaltigkeit von Zielen
und Maßnahmen selber zu evaluieren.
Die vorgeschlagene Vorgehensweise und
das Monitoringinstrument (s. Merten et
al. zu Strategischen Allainazen in dieser
Publikation) wurden allerdings noch nicht
ausreichend erprobt. Diese Dynamik hat
sich auch auf die Zusammenarbeit und
Reflektion der Reallabore ausgewirkt.
Eine besondere Schwierigkeit besteht
bei einem solchen offenen Ansatz darin,
die Maßnahmen auf langfristige Ziele
auszurichten und die Akteure dennoch zu
motivieren den »langen Weg« zu gehen.
So wurden in der ersten Durchführung
hauptsächlich die einfachen direkt nützlichen
Maßnahmen angegangen. Weiter
braucht es aber auch einen langfristigen
Blick, um Maßnahmen rund um die
stärkere Förderung von Nachhaltigkeit
und Resilienz anzugehen. Hier sind weiter
neue Lösungen gefragt.
Zusammenarbeit
Der Ansatz der Bottroper Reallabore wurde
nach den Prinzipien von Kodesign und
Koproduktion angelegt (Rose et al., 2018).
In der Umsetzung erfolgte die Zusammenarbeit
jedoch viel mehr koordinativ
unter der Federführung des Amtes für
Wirtschaftsförderung und Standortmanagement.
Die wissenschaftlichen Partner
haben sich bei der Zielsetzung, Definition
und Ausarbeitung des Ansatzes sowie
der internen Reflektion aktiv beteiligt. Das
Amt hatte in der Rolle des Koordinators
die Vor- und Nachbereitung übernommen.
Diese stark leitende Funktion wurde
von den beteiligten Wirtschaftsakteuren
erwartet. Diese haben sich zwar bereit
erklärt, sich bei der Umsetzung von
Lösungen aktiv mit einzubringen und
eigenständige Aufgaben innerhalb der
Maßnahmen zu übernehmen, aber nicht
die Reallabore eigenständig zu steuern. In
der Folge ergaben sich deutliche Unterschiede
im Grad der Selbststeuerung zwischen
den vier Reallaboren. Das Reallabor
»City Logistik«, für welches bspw. die
Grundlage in der WiAll gelegt wurden, hat
sich schnell von einem Reallabor in ein
eigenständiges Förderprojekt weiterenwickelt
und wurde ausgegliedert. Ebenso
hat sich im Reallabor »Digitale Koproduktion
im Handwerk« unter Federführung
des FabLabs HRW eine eigene Dynamik
entwickelt, die in der Anschaffung eines
gemeinsam genutzten Technologiesets
(u.a. 3D-Raum-Scanner und dazugehörige
Software) gemündet ist. Sowohl die
Hochschule, als auch die Unternehmen,
haben den Wunsch nach künftiger Kooperation
geäußert. Innerhalb des Reallabors
»Hybride Formen des Handels«
haben die Unternehmen die erarbeiteten
Maßnahmen teilweise selbergesteuert
durchgeführt (z.B. die Durchführung einer
Umfrage), haben im Anschluss aber eine
eher passive Weiterführung des Reallabors
in der Form einer Workshopreihe
entwickelt, die auf einen reinen Input statt
auf Experimentieren abzielt. Die Verantwortung
für Organisation und Koordination
dieser Workshopreihe liegt weiterhin
bei dem Amt für Wirtschaftsförderung
und Standortmanagement.
Die Herausforderungen im Kodesign und in der Koproduktion können durch die Projektstruktur und die lokalen Gegebenheiten am Standort erklärt werden. Durch das Wegfallen der mittleren strategischen Ebene und damit eines strategischen themenbezogenen Orientierungsrahmens wurde die Durchführung der Reallabore erschwert. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass in einer Stadt wie Bottrop mit 117.000 Einwohner die Anzahl der engagierten Unternehmen überschaubar ist und damit auch die Möglichkeiten sich in mehreren Formaten, Veranstaltungen und Projekte einzubringen beschränkt sind. Dies hat sich als eine Herausforderung im Gesamtprozess bestätigt (s. Rabadjieva & Terstriep zu Partizipation ist kein Selbstzweck).
Ressourcen
Es hast sich gezeigt, dass die Reallabore gerade dann auf eine positive Resonanz stoßen, wenn sie den teilnehmenden Unternehmen konkrete Lösungsmöglichkeiten für betriebliche Probleme im Zusammenhang mit dem jeweiligen Thema oder aber andere Arten von Zusatznutzen bieten. Den meisten Unternehmen, insbesondere aber kleinen Handwerksbetrieben und Dienstleistern, fehlt es im Tagesgeschäft oft an den erforderlichen Ressourcen, um angestoßene Prozesse zeitnah und nachhaltig umzusetzen. Es gilt insofern im Vorfeld innerhalb der Reallabore zu klären, ob und in welchem Ausmaß konkrete Maßnahmen jenseits von öffentlicher Förderung von den Akteuren umgesetzt werden können.
Reflexion
Wie bereits dargestellt, wurde eine partizipative Reflexion der Reallabore hinsichtlich Nachhaltigkeit und Resilienz noch nicht ausreichend erprobt. Die Reallabore wurden vom Projektteam mittels teilnehmender Beobachtung und durch Gesprächen mit Beteiligten reflektiert und evaluiert. Im Fokus standen dabei der Prozess und die Reallabore als Instrument. Aufgrund der parallen Durchführung war ein Lernen von den Erfahrungen der anderen Reallabore nur bedingt möglich. Die in diesem Artikel dargestellten Erkenntnisse aus dem Reallabor-Prozess gilt es nach dem Ablauf des Projektes weiter in der Praxis anzuwenden.
Diese Erfahrungen sollten allerdings mit Vorsicht betrachtet werden. Aus dem ggf. nicht representativen zwei-jährigen Reallabor-Prozess in »Bottrop 2018+« lässt sich festhalten, dass Reallabore mit Wirtschaftsakteuren einer Strukturierung und Aktivierung durch einen koordinierenden Akteur bedürfen. Ob das in jedem Fall eine notwendige Voraussetzung für »Wirtschaftsnahe-Reallabore« ist, kann nicht abschließend behauptet werden. Im Falle von Bottrop wird diese Rolle vom Amt für Wirtschaftsförderung und Standortmanagement übernommen.
Weiter zeigen die Erfahrungen, dass der Fokus solcher Reallabore – zumindest in Bottrop – verstärkt auf die konkrete Umsetzung von kollaborativen Lösungen ausgerichtet werden sollte, die einen konkreten Mehrwert liefern. Begleitet werden sollten diese von einem interaktiven Austausch mit Wissenschaft und Multiplikatoren, um punktuell Impulse zu bestimmten Themen zu setzen. Ferner sollte die Themensetzung der Reallabore innerhalb des strategischen Rahmens verstärkt interessengeleitet erfolgen. Das Thema »Nachhaltiges Wirtschaften« wurde bspw. als hochinteressant priorisiert, aber als eher abstrakt empfunden. Solche Themen können durch eine Fokussierung greifbarer gemacht werden, wenn z. B. eine konkrete Problemlage wie Fachkräftemangel im Vordergrund steht. Durch den Wegfall der mittleren Projektebene konnte diese bereits geplante Konkretisierung nicht durchgeführt werden und sollte daher im Nachgang weiter verfolgt werden, da sie das Insturment »Reallabor « befruchten kann.
Es bleibt aber weiter zu beachten, dass Reallabore nicht nur anders genannte Projekte sind oder werden. Reallabore haben per Definition einen experimentellen Ansatz und ein offeneres Setting und sind daher von den durchgeplanten und mit konkreten Meilensteinen und Sollabbruchstellen versehenen Projekten und deren Projektmanagement deutlich abzugrenzen.
Zudem sollte beachtet werden, dass die in dem Projekt »Bottrop 2018+« gemachten praktischen Erfahrungen mit Reallaboren noch recht überschaubar sind und daher allgemeingültige Rückschlüsse auf Reallabore mit Wirtschaftsbeteiligung nicht allzu vorschnell gezogen werden dürfen. Hier ist Bedarf nach weiteren Forschungsfragen und Evaluationsansätzen gegeben.
[1] Eine vertiefte Darstellung der Reallabore, sowie der Ergebnisse ist in der Abschlussbroschüre »Reallabore Bottrop« zu finden.
Literatur
Marquardt, E. und West, C. (2016): Co-Produktion von Wissen in der Stadt – Reallabor »Urban Office–Nachhaltige Stadtentwicklung in der Wissensgesellschaft» and er Universität Heidelberg. In:Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis, 25 (3): 26 – 31.
Schneidewind, U. (2014): Urbane Reallabore – ein Blick in die aktuelle Forschungswerkstatt. In: pnd|online 3|2014.